Ohne diese „Münz-Prägung“ sind wir nichts mehr wert. Nur mit unserer Wert-Prägung gehören wir dazu. Nur wenn wir auch den Kapuzenpullover, die weite Jeans und Schuhe mit weißer Softsohle tragen, gehören wir dazu. Frauen tragen ihr Handy in einer Seitentasche. Männer in der Hosentasche. Kinder liegen im Kinderwagen von den Eltern weggedreht, geschoben von Mamas und Papas, die auf ein Handy gucken statt zu ihrem Kind. Ein Kind wird der großen ihm entgegenkommenden nicht überschaubaren Welt von Bildern überlassen ohne einen Haltepunkt, einer Orientierung, die Mamas und Papas, Omas und Opas bieten. Was macht das mit der Prägung eines Kindes? Formt sich hier ein uniformes Wesen, da es sich selbst nicht mehr spiegeln kann im Antlitz seiner Eltern, um sich selbst zu formen? Zieht es hier schon die Uni-form an?

Eltern tragen vielfältig bereits mindestens eine sichtbare Uniform. Es ist eine Hand, die mit dem Festhalten eines Handys beschäftigt ist. D.h. wir laufen einhändig durch die Welt. Begreifen wir Welt dann auch nur noch einhändig? Eben uniform?
Was machen Uni-Formen?
Wohin führen Uniformen? Das wahrheitsgetreue Buch einer Lebensgeschichte „Mein Leben unter zwei Himmeln“ von Yu-Chien Kuan beschreibt die Uniformität durch Uni-Formen in einem China von Mao-Tse-tung, wo er groß wurde und seiner Flucht nach Europa. Dieses Buch hat mir auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie ein totalitärer Staat entsteht und wie es sein kann, dass er sich entwickelt, zu dem, was er ist. Es beschreibt die gegenseitige Abhängigkeit von Gesetzeslagen, Staatsführung, Menschen und ihren Funktionen. Und ich glaube, dass es selten ein so lebhaftes Beispiel für Uniformität gibt, wie diese wahre Geschichte.

Wie ist es möglich, diese uns langsam, für mich fast erdrückenden Prägung einer eintönigen Formatierung, zu erkennen? Wie kann ich als Einzelwesen in wechselseitiger Abhängigkeit mit diesen Formaten, meine eigene intuitive Lebensprägung freilegen, wenn ich von klein auf, in ein Format gedrückt werde?
Ich liebe dich
In der Zeit-Ausgabe Nr. 25 vom 12. Juni 2025 steht auf der Seite 50 unter Entdecken, eine Text über das kleine Wunder des Satzes „Ich liebe dich“. Eine japanische Hirnforscherin beschreibt ihre Prägung durch die japanische Kultur in ihrem Elternhaus, wozu es nicht gehörte diesen Satz auszusprechen. Aber als ihr Vater an Demenz erkrankte, wollte sie ihm wenigstens einmal sagen, dass sie ihn liebt, bevor er sie vergisst. Wie schwer dies war, diese Prägung hinter sich zu lassen, beschreibt dieser Text.
Wenn wir von klein auf in ein Format gedrückt werden, verlieren wir etwas, dass Jugendarbeiter heute oft sehen. Die jungen Menschen sind orientierungslos und sehen keinen Sinn mehr in ihrem Leben. Meine Freundin arbeitet seit Jahren als Erzieherin mit diesen jungen Menschen. In den zwanzig Jahren ihres Berufslebens hat sie den Wandel gesehen. Die Orientierungslosigkeit ist gewachsen. Selbstverletzungen um sich zu spüren, ist bereits an der Tagesordnung.
Diese Form hat den Namen „Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)“. Eine andere Form hat den Namen „ADHS“. Beide Formen werden heute in der Regel mit Psychopharmaka ausgeglichen. Niemand hinterfragt mehr, was die Gesellschaft für einen Anteil daran trägt. Als ich vor einigen Jahren mit einem Freund, der in der Psychiatrie als Musiktherapeut arbeitet, in einer geschlossenen Abteilung war, wunderte ich mich über die vielen alten Menschen, die dort waren. Sind diese alten Menschen wirklich alle psychisch krank, fragte ich mich? Oder sind sie hier, weil sie niemand mehr braucht? Sie keine Aufgabe mehr in unserem gesellschaftlichen WIR bekommen haben, so wie noch vor 100 Jahren. Da nähte die alte Frau die Knöpfe an, auch wenn sie den ganzen Tag dazu brauchte. Da bastelte der alte Mann an einem Stück Holz. Ein gelebtes WIR schließt nichts und niemanden aus. Das ist die Pluralität und nicht Singularität wie Hannah Arendt es ausdrückt.

Das Orientierungslose und die Uniformität
Wollen wir wirklich, dass unser Kind erbarmungslos den Bildern der Welt in einem von dem Elternblick abgewandten Kinderwagen erfährt? Wie kann es lernen sich zu orientieren, wenn es keine Orientierung in diesem großen Ganzen von klein erfährt? Da ist die Uniformität schnell eine gute Antwort. Sie hilft mir. Sie weiß um die Lösung. Ich brauche nur zu tun, was sie sagt, dann geht es mir gut. Welch eine Bedrohung kommt da auf uns zu?
Auch unsere Schulen nehmen da einen Platz ein. Die vermehrte Arbeit mit Rechnern. Die Hausaufgaben via Mail. Die Kontrolle durch Eltern. Wo bleibt das Eigene? Das wirklich eigene selbstständig für sich verantwortlich werdende Wesen Mensch, das wirklich einzelne Individuum? Ein Individuum, das gerade dadurch, das es sich selbst erfährt, zu einem würdevollen Leben beiträgt für sich und die Anderen? Erst wenn wir Menschen uns selbst erkennen, erkennen wir die Würdigkeit eines Anderen. Verlieren wir unser Selbst in einer Form, einer Uniformität, in einer gleichgemachten Welt, was ist dann das Andere und was ich? Ja, es ist seltsam, dass gerade der Unterschied zwischen dem Einzelwesen und dem Anderen wie es Emmanuel Lévinas formuliert, uns befähigt wahrhaft ein Mensch in einem WIR zu sein. . (Lévinas, Die Zeit und das Andere, 20023,48)
Der Textschreiber (Name leider nicht erwähnt) in der Zeitausgabe, die ich oben erwähnte, schreibt weiter, dass „dieser schlichte Satz (Ich liebe dich) zwei Menschen verwandelt und die Art wie eine Familie seit Generationen mit Gefühlen umgegangen ist. Ein ins Offene zu gehen, ins Ungewisse und uns immer wieder zur Welt hin ausstrecken, gegen unsere Ängste, Prägungen und erlernten Sicherheiten – am Ende ist es das, was uns zu Menschen macht.“
Ist es das, was wir gerade verlieren – das Menschliche? Ist die Uniformität soweit vorgedrungen, dass wir es nicht mehr bemerken, wie wir uns selbst in einer gefühlskalten Ich-bezogenen Welt, ohne das hilfreiche WIR verlieren?

Gehen wir zurück an unsere Bildungsinstitutionen. Die Arbeit mit Rechnern ist hilfreich und gleichzeitig eine gleichmachende Verrohung. In dem überaus empfehlenswerten Artikel von Axel Kromer über die kybernetische Pädagogik des letzten Jahrhunderts wird genau diese Versuchung durch Uniformität beschrieben. Er schreibt, dass die Programmierer der Schulsoftware nur eine begrenzte Reichweite haben, allein deswegen schon, wie im Teil zwei beschrieben, die Programmiersprachen eine Begrenzung haben.
Und so erleben die heutigen Schüler eine uniforme Arbeitsblatt-Aufgaben-Gestaltung, deren sich immer mehr Lehrkräfte bedienen und so selbst ihre eigene Kreativität im didaktischen Bereich reduzieren. Die Uniformität und die damit einhergehende Konformität schafft immer weniger Raum für Freiheiten. Das geht jetzt soweit, dass die Freiheit gar nicht mehr so wichtig scheint, lieber in Frieden statt in Freiheit.
Frieden ohne Freiheit?
Doch, der logische Schluss ist hier fehlerhaft. Frieden ohne Freiheit gibt es nicht. Alle, die je in einem totalitären Staat lebten, legen darüber Zeugnis ab. Fragt sie!
In Frieden auf einem Stuhl sitzen bleiben können, aber nicht mehr entscheiden können, wo dieser steht, bedeutet, Unfreiheit und Unfrieden, denn Frieden entsteht nur in einem Haus, in dem ein freiheitlicher Umgang lebendig ist. Die sogenannten Lücken, die Phantasie und Kreativität ermöglichen, erschaffen einen Raum lebendiger Freiheit und dann ist unser Tun frei.
Frei bedeutet, ohne Angst zu sein. Ein Frieden, der ohne Freiheit daherkommt, ist mit Angst behaftet. Der große Philosoph Kierkegaard sagt: „Die Unschuld ist Unwissenheit. […] In diesem Zustand ist Frieden und Ruhe; doch es ist zur selben Zeit noch etwas anderes da, […]! Was ist nun das? Nichts! Welche Wirkung hat aber – Nichts? Es erzeugt Angst.“ (Kierkegaard Sören 2011, S. 44)
Wir können uns mit unserer Unwissenheit reinwaschen. Aber die Angst, die wir ganz heimlich leise in uns hochkriechend bemerken, erlöst uns nicht von der Qual der Konformität und Uni-Formität. Sie bestärkt sie. Die Philosophin Hannah Arendt schreibt: „“Menschen so zu organisieren, als gäbe es sie gar nicht im Plural, sondern nur im Singular.“ (Zeitschrift der Bundeszentrale für polit. Bildung, H. Arendt (Anm. 23), S. 727)
Genau das erleben wir gerade hier in westlichen Staaten. Das Anwachsen einer Singularität auf Kosten eines Plural. Wenn wir also in der Uniformität und Konformität vergessen, dass wir alle gemeinsam ein WIR sind aus vielen verschiedensten Wesen, dann hat Hannah Arendt recht. Es entsteht ein uniformes konformes singuläres Etwas. Manipulierbar. Händelbar. Ausbeutbar.
Gleichzeitig entsteht eine im Hintergrund leise schlummernde Angst. Angst vor Kriegen, vor Folter, Verlust der Sicherheit, Verlust vom Status quo. Und diese Angst ist wiederum ein idealer Ort, die Uniformität und Konformität noch mehr auszubauen. Je mehr ein Staat dies tut, umso mehr entwickelt er sich zu einem totalitären Staat. Er fasst alle Teile zu einer einzigen Uni-form zusammen.
Ein einziges Handy reicht dafür!
Konform in seinen Anforderungen bedingt es eine Uni-Form. Wir können es nicht mehr wegdenken, aber, was wir alle tun können, ist dem Singular den Plural vorziehen. Ein kleines Beispiel verdeutlicht dies. Ich sitze gerade in einer Ferienwohnung im fränkischen Hofheim. Ich mache so etwas gerne, weil ich dann Zeit habe zu schreiben. Meine Gedanken zu Papier bringe, wie diese hier, wofür ich in meinem normalen Alltag zu wenig Platz habe. Gestern ging ich spazieren. Ein Wiesenweg. Links die Felder. Rechts die letzten Gärten einer Häuserreihe. In fast jedem zweiten Garten steht ein Swimmingpool. Vor fünfzig Jahren, als ich Kind war, gingen wir ins Freibad. Wir begegneten anderen Menschen, mussten mit dem Nachbarn auf der Wiese klarkommen oder es bahnte sich vielleicht manchmal sogar eine Freundschaft an. Heute sitzen alle allein, singulär, höchstens mit einem Freund, den man ja kennt, in einem Pool in eigenen Garten.
Angesichts von der Nachhaltigkeit des Themas Wasser, Ressourcen und Bio wirkt dies wie eine Farce. Ich frage mich, ob die Menschen inzwischen in ihrer luxuriösen Singularität und Uniformität wirklich vergessen haben, dass wir nur gemeinsam existieren können. Keiner kann ohne den Anderen dieses Leben leben. Der Wasserhahn lässt nur Wasser laufen, wenn da jemand ist, der sich darum kümmert. Wir können nur gutes Trinkwasser trinken, wenn da ein anderer Mensch ist, der dies prüft. Wir können in einem Supermarkt nur einen Joghurt kaufen, wenn ein Mensch ihn dahinfuhr, ein einfacher LKW-Fahrer, der hier eine unglaubliche Würdigung erfahren müsste. Abgesehen von all den Menschen, die die Milch zapften und verarbeiteten. Es sind Menschen, die Maschinen bedienen. Es sind Menschen, die die Idee für und zu etwas haben. Eine große Brücke wie die „Golden Gate Bridge“ entsteht im leeren Raum einer Vision eines Menschen. Und dazu bedarf es eines eigenständigen, selbstständigen, kreativen Denkens. Und dies ist menschlich. Kreativität kennt keine Uniformität. Sie bricht sie auf. Selbstständiges Denken erfasst Uniformität und formt sie zu einer menschlichen Gestaltung eines Non-konformen wie zum Beispiel in der Kunst, im Schreiben, im Theater, im Spiel…
Eigenständigkeit kennt keine Angst. Sie lebt sich aus sich heraus.
Die Prägung des Menschlichen!
Wir alle sind diese eine Welt. Wir alle formen sie gemeinsam. Lasst uns nicht einreden, wir wären nicht Mit-former und nur Uni-Forme. Lasst uns gemeinsam Gestaltende einer bunten mehrperspektivischen Welt sein, in der es nur eine Prägung gibt: Die Prägung des Menschlichen! Die Prägung eines Miteinanders. Ohne Ausnahme. Tiere. Pflanzen. Menschen. Alle Lebewesen. Diese Erde ist ein wunderbarer Ort. Wir alle sind Gestalter und Gestalterinnen. Wir können jederzeit sagen: Ich liebe dich. Egal zu wem und wann. Ganz leise für uns, können wir unseren Geist mit diesem Satz füttern. Und ganz langsam verschwindet der Hass, der eine Uniformität nach sich zieht. Die Politik zeigt uns dies gerade an genügend umfassenden Beispielen.
Übernehmen wir unsere Ver-antwort-ung! Wir sind die, die Antworten kreativ, selbstdenkend und eigentätig lebendig leben können. Augenblick für Augenblick. Wer oder was sollte uns daran hindern? Die eigenen Ängste? Wovor haben wir Angst? Uns selbst zu trauen uns selbst in einem großen WIR zu zeigen und zu leben? Das Andere schreibt Lévinas ist ein Verhältnis zu einem Geheimnis. (Lévinas, Die Zeit und das Andere, 20023,48)
Trauen wir uns dieses Geheimnis in unser Leben zu tragen, statt einem Handy hinterher zu laufen, dass uns mit Bildern von diesen Geheimnissen des vor unseren Augen stattfindenden Lebens des Anderen wegträgt? Die Ängste selbstständig angehen. Die Freiheit selbsttätig erleben. Die Hand selbst in die Erde stecken. Den Fuß selbst gehen lassen. Die Nahrung selbst zubereiten. Die Wäsche selbst waschen. Die Marmelade selbst kochen. Mit den Kindern selber Bilderbücher lesen. Sich selbst zeigen als das Eigenste in einem großen WIR. Und das alles möglichst gemeinsam. Ein Straßenzug. Ein Wohnhaus. Ein Dorf. Ein Stadtviertel. Als ich vor vielen Jahren den ersten Rob Hopkins Film von Transition Town (Stadt im Wandel) sah, saß ich weinend im Kino. Menschen, die gemeinsam ihre Vorgärten bewirtschafteten. Jeder erklärte sich bereit, ein/zwei Stunden die Wochen in irgendeinem Garten zu arbeiten. Alle ernteten gemeinsam, verarbeiteten die Früchte, feierten Ernte-Dank. Alte Menschen fanden Anerkennung und Aufgaben…so kann eine bunte Welt aussehen. Straßenzug für Straßenzug eine andere Gestalt, von uns Menschen gemacht.

Unser Kirschbaum trägt in diesem Jahr so viele gute Früchte wie seit Jahren nicht. Allein sitze ich in der Küche und entsteine sie. Als mein Schwiegermama noch lebte, machten wir solche Arbeiten immer gemeinsam. Heute heißt es, als wir sagen, holt euch Kirschen, wir haben bereits anderes zu tun. Ergotherapie. Sport. Fitness. Fahrrad fahren. Joggen. Yoga. Gehirntraining und Co. Alles nur nicht dieses Echte, dieses Jetzt, immer woanders, immer unterwegs, keine Ruhe. Doch, genau das fehlt. An einem Tisch sitzen, gemeinsam arbeiten und tatsächlich reden. Ja, über Gott und die Welt. Was geschieht dann? Ganz automatisch verlassen wir die Uniformität und kommen in der eigenen Form an. Und das führt zum selber denken und somit zu weniger Manipulierbarkeit.
Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann ist es genau dies. Ein wieder Entdecken des Großen Ganzen, zu dem wir alle gehören. Angefangen in einer kleinen Familie, Großfamilie, Nachbarschaft, Vereine, Wohnhaus, Straßenzug, Stadtviertel, Stadt, Land, Kontinente. Es gibt viel zu tun. Packen wir es an!
Und wenn nicht wir selbst, wer dann und wann? Bitte Jetzt!
Literaturverzeichnis
Dōgen Zenji (2013a): Shōbōgenzō. 4 Bände. Heidelberg-Leimen: Kristkeitz (Band III).
Dōgen Zenji (2013b): Shōbōgenzō. 4 Bände. Heidelberg-Leimen: Kristkeitz (Band IV).