Die Uniformität und ihre Prägungen – erste Untersuchung

Gleichförmig. Einheitlich. Eintönig. Eine Form. Eine Gestalt. Sagt das ethymologische Wörterbuch!

Irgendwie hört sich eine Gestalt, eine Form doch gut an. Wie oft wollen wir wissen und auch erkennen können, was ein anderer Mensch fühlt, denkt, hofft, wünscht, sich vorstellt und vieles mehr. Einmal nur wirklich eine Einheit sein. Eine Gestalt! Allein zwischen zwei Menschen!

Der Philosoph Thomas Nagel schrieb 2005 einen Aufsatz, indem er sich sogar fragte, wie es wohl sei eine Fledermaus zu sein? Das scheint noch schwieriger zu sein, als ein anderer Mensch zu sein.

Einmal wirklich in einen anderes Gehirn kriechen.
Puppenmuseum Neustadt Coburg, Ausstellung 2017

Die dualistische Welt

Doch, was für eine „Hinterlist“, was für ein „Unheil“ verbirgt sich hinter einer Gleichförmigkeit, einer Uniformität? Einer Uniformität, die das Andere ebenfalls uniformiert?

Unsere Welt ist dualistisch. Es gibt groß und klein, dick und dünn, kalt und warm, krank und gesund, bunt und einfarbig, gut und böse, traurig und glücklich, Gefallen und Missfallen und vieles vieles mehr. Wir erleben und erfahren unsere Welt hin und her schwankend zwischen diesen Polen.

Was ist groß und was ist klein? Dieser Baum ist vierhundert Jahre alt! Was weiß ein Mensch und was weiß er?

Das Besondere daran sind die unterschiedlichen Facetten. Groß ist nicht groß. Klein ist nicht klein. Gut ist nicht gut. Böse ist nicht böse. Es sind die Zusammenhänge, die Perspektiven, die Grundhaltungen, die Vorstellungen, die Gedanken, die uns in dieser dualistischen Welt uns bewegen lassen. Mein freundlicher Begrüßungshandschlag ist in Deutschland willkommen und in anderen Ländern ist es der Kuss auf die Wangen. Welche Perspektive erlaubt uns die zwei Seiten einer Medaille zu bemerken? Was lässt uns eine einzige Perspektive einnehmen und annehmen, dass nur diese die einzig Wahre ist? Wie können wir trotz aller Individualität eine Uniformität vermeiden? Wie können wir einer Gleichmacherei trotzen, ohne Schaden zuzufügen und zu erleiden? Wie können wir in einer Uniformität uns selbst noch gestalten ohne Uniform?

Die Zwei

Wir haben zwei Beine, zwei Arme, zwei Augen, zwei Ohren. Unser Körper ist in vielen Teilen dualistisch. Schauen wir genau hin, sind wir erstaunt wie häufig diese Zweiheit allein in unserem Körper auftaucht. Selbst die eine Leber hat zwei Leberlappen. Das eine Gehirn hat zwei Hälften. Also die Zwei taucht überall auf. Selbst die Quantenphysik hat die zwei Zustände eines Elektrons herausgearbeitet – mal Teilchen, mal Welle. Was bedeutet das?

Eine der zentralen Fragen der Philosophie ist die Fragen nach den großen Zweien: Körper und Geist. Die verschiedensten Religionen der Welt beweisen die Schwierigkeit diese Beiden übereinander zu bekommen. Dennoch weisen uns große Weisen der ganzen Welt und der großen Geschichte daraufhin, dass es so etwas wie eine Einheit gibt. Eine Art Ursprung, wo alles gedeiht und verendet. Und dies hat nichts mit Vereinheitlichung oder Uniformität zu tun. Die Weisen der Welt sprechen von einer Weisheit, die, die Dualität genauso gut zulässt wie die Nicht-Dualität. Der japanische Zen-Meister Dōgen Zenji sagt: „Das Erlernen der Wahrheit umfasst zwei Aspekte: das Lernen mit dem Geist und das Lernen mit dem Körper.“ (Dōgen Zenji 2013b, 303, Butsu kōjō no ji, Bd.4) Und: „Ohne diesen denkenden Geist ist es unmöglich, den Bodhi-Geist zu erkennen.“ (Dōgen Zenji 2013a, S. 294)

Doch, was ist das Bedeutsame geblieben in all den Jahrhunderten der Forschung, der letzten Jahre der Wissenschaft? Geblieben ist die Unvorstellbarkeit, dass Körper und Geist da sind – vor allem gleichzeitig! Dass wirklich etwas Gutes und etwas Schlechtes existiert. Dass wirklich etwas Großes und etwas Kleines da ist. Dies beinhaltet erst einmal keine Wertung, denn das wirklich Kleine und das wirklich Große sind erst einmal, das, was sie sind. Erst, wenn wir hergehen und unsere Vorstellungen, Erwartungen, unser Denken und Fühlen hineinbringen, entsteht so etwas wie eine Wertung, die sehr individuell ist. Die große Zen-Meisterin Jiun Hogen Roshi in Noorder Poort Holland sagte, dass wir von Konventionen und erzieherischen Weltbildern der Jahrhunderte geprägt sind. Sie begegnen uns, wenn wir wach sind, überall in unserem Denken, Handeln, Tun, Reden, Sein.

Ein Pferdefuhrwerk 2014 in Porto Alegre mitten in der Großstadt – eine andere Konvention?

Die Prägungen

Ein jeder Mensch hat seine eigenen Prägungen aufgenommen, die er lebendig verteilt, ohne dass es ihm in der Regel klar ist. Erst eine Erforschung und Beobachtung wie unter einem Mikroskop erlaubt die Prägungen langsam aber sicher ins Blickfeld zu bringen und zu erkennen. Erst wenn wir erkannt haben, gesehen haben, was wir für Prägungen mit und in uns tragen, können wir Veränderungen angehen.

Der Film „peaceful warrior“ ist da zu empfehlen. Der Film zeigt an einer wahren Geschichte, wie Prägungen unser Leben beeinflussen und wie schwer es ist, sie zu verändern. Aber es ist möglich!

Doch, wie mache ich mir meine eigenen Vorstellungen, Erwartungen, Prägungen sichtbar? Sowohl Dan Millman, der junge Mann, der im „peaceful warrior“ dargestellt wird, also auch ein Gandalf der im „Herr der Ringe“ gegen den uralten Schatten Balrog kämpft und die vielen tausenden von Zen-Meistern, Mystikern dieser Welt wissen um die schwere Aufgabe, dies in einem menschlichen Leben zu meistern.

Gandalf schickt seine Begleiter fort. Er kämpft allein. Dan Millman kämpft seinen Kampf mit sich selbst unter Anleitung eines „Zen-Meisters“ gespielt von Nick Nolte. Die Mystiker der Welt ziehen sich oft jahrelang zurück, um sich selbst zu erforschen. Was erreichen sie damit, ist eine der Kernfragen unserer Gesellschaft?

Sich selbst sehen

Sie sehen sich selbst und sich selbst sehen, heißt die Welt besser verstehen. Sich selbst sehen, heißt nicht mehr auf sich selbst reinfallen, sondern klar und wachen Geistes in der Welt seinem eigenen Klang zu folgen. Eine Uniformität macht das nicht, denn sie sieht nur sich selbst als das Ultimative. Es gibt nur sie. Die Gleichförmigkeit kennt den Unterschied nicht mehr. Sie vernichtet ihn und durch diese Vernichtung entsteht etwas sehr Merkwürdiges. Die menschliche Individualität mit ihren unverwechselbaren Eigenschaften verschwindet. Die Menschen in Tokio, Rio de Janeiro, Paris, London, Kapstadt, Peking sehen alle gleich aus. Sie tragen nicht nur dieselbe Kleidung, sondern sie beginnen immer mehr dasselbe zu denken. Ein großes weltweites Beispiel, das uns dies mehr als deutlich zeigte, waren die Jahre 2020-2023, die Jahre mit der Corona-Grippe. Egal, welches Land der Welt. Demokratischen Grundregeln wurden verletzt. Kranke Menschen wurden ausgesondert und nicht mehr behandelt. (Dabei fallen einem Bilder zur mittelalterlichen Pest ein und Lepra-Kranke. Sie wurden vor die Stadttore gebracht und ihrem Schicksal überlassen.) Wie ein angeblich „zivilisiertes westliches Land“ wie Deutschland, wo ich lebe, sich so verhalten konnte, ist mir bis heute ein Rätsel.

Uniformität verhindert ein Entdecken der Uniformität. Da diese Gleichform jegliches Leben überzieht, verschwinden Gedanken daran, dass diese Uniformität existieren könnte. Dabei entfallen gleichzeitig die Unterschiede, die den Dingen innewohnen. Wenn wir gut von schlecht nicht mehr differenzieren können, weil die Uniformität dies in eine Form packt, dann verschwindet gleichzeitig damit das Gute und das Schlechte. Es wird unsichtbar. Und das bedeutet, dass wir nur noch eine Form leben, die weder das Gute fördert noch das Schlechte verhindert. Wenn alles gleich ist, bedarf es eigentlich keiner Veränderung mehr. Und das ist Uniformität pur. Wohin führt Uniformität? In eine Totalitarität?

„Das Bild Bruegels geht also über eine Kritik menschlicher Hybris hinaus und kann auch als Radikalkritik an Uniformität, ja Totalitarität gesehen werden: Wenn Menschen aufhören zu denken, weil sie Angst haben, wenn sie sich in die Kon- und Uniformität flüchten, weil sie nur so zu überleben glauben, dann entsteht eine unheilvolle Massenbewegung, die allzu leicht in Größenwahn mündet. Die Macht einer solchen Massenbewegung, die sich kraftvoll in Gang setzt und ihre oftmals widersinnigen Ziele effizient verfolgt, ist weitaus tragischer und gefährlicher als es jede Hybris vermag.“ (Elisabeth Birnbaum, 2019, Wien)

Pieter Bruegel d.Ä., Der Turmbau zu Babel

Unformität als unerkannte Gleichmacherei einer virtuellen digitalen Welt?

Der Quantenphysiker Fred Alan Wolf gibt in seinem Buch „Physik der Träume“ (1994) ein Beispiel. Damals kam eine neue Serie Raumschiff Enterprise ins Fernsehen. Die Menschen an Bord, die jahrelang unterwegs waren, gingen aufs Holodeck (eine virtuelle Welt) um sich zu entspannen. Man setzte sich eine Brille auf und befindet sich im Wald. Man zieht Handschuhe an und fühlt das klare Wasser eines Baches. Die Realität wird durch Bilder erweckt. In dieser Folge entsteht aus diesem Holodeck ein Holo-Wesen, das plötzlich überall auf dem Raumschiff herumläuft, sogar mit Kapitän Kirk spricht und ihm sagt, dass er ein echtes Wesen sei. Bis alle merken, dass das Holo-Deck wie Spiegel sich im Schiff verteilt hatte, so dass niemand mehr wusste, ist das Geschehen jetzt wirkliche Realität oder nur eine virtuell Gemachte, hatte dieses Wesen viel Schaden angerichtet. Dieses Wesen hatte sich selbst selbstreflexiv mit in die Programme eingebaut. Kapitän Kirk löste das Problem, indem er diesem Wesen ein Programm einspielte, indem es sich in einem Cyperspace bewegen konnte, indem es sozusagen eingesperrt wurde und keinen Schaden mehr anrichten konnte.

Hilft eine Erweiterung des eigenen Bewusstseins im Angesicht einer Uniformität? Selber Denken?

Wollen wir wirklich eine gleichmachende virtuelle Welt? Eine Welt, in der alle dasselbe fühlen, denken, tun? Leben in einer Welt einer Uniform (Brille, Handschuhe, Anzug…), die jeden Handgriff in ein Programm führt mit einer Anzahl von Möglichkeiten, aber das Eigene darauf reduziert, was das Programm an Möglichkeiten öffnet? Eine lebendige versteckte Uniformität? Führt das zu Lösungen unserer weltweiten Problematiken? Wasser? Energie? Bildung? Nahrung?

Vielfalt? Mehrperspektivität? Alternative Lebensformen?

Ist die Welt mit ihren abertausenden von wunderbaren individuellen Wesen nicht eine Formenvielfalt, die es verdient aufrecht erhalten zu bleiben? Was eine Abholzung der Urwälder bedeutet, bekommen wir Menschen nur am Rande mit. Doch, wie viele kleinste Wesen vernichten wir? Wesen, die unserer aller Leben dienen. Es ermöglichen. Welche Krankheiten könnten sie vielleicht heilen? Die Uniformität vernichtet Vielfalt, Mehrperspektivität und formt eine einförmige Gestalt, die sich heute immer mehr einer Technik nähert, die Künstliche Intelligenz heißt und so klein wie ein Handy ist.

Was tut ein jeder von uns? Was ist mit unserer aller Verantwortung Augenblick für Augenblick mitten in diesem lebendigen Dasein Welt? Wann begreifen wir, dass das Großartigste, was wir auf diesem Planeten leben können, unsere bunte Vielfalt ist?

In Indien hatte früher jede Familie ihr eigenes Curry. Es gab nicht nur ein Curry. Heute haben Forschungen ergeben, dass Menschen in westlichen Ländern eine Fertignahrung eher als geschmacklich gut bewerten als eine frisch zubereitete gleichwertige Speise. Die Fertignahrung schmeckt immer gleich. Die frisch zubereitete Speise schmeckt immer anders. Merken wir das noch? Was hindert uns, diese bunte Vielfalt lebendig zu leben? Ist dies vielleicht einmal die Rettung unseres Planeten?

Viele Fragen! Doch Fragen bewegen uns. Fragen eröffnen Felder. Fragen verschließen nicht. Sie sind Denkansätze. Also wie Martin Heidegger sagte: „Das Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit, dass wir noch nicht denken.“

Demnächst geht es weiter. Bleiben Sie dran. Es lohnt sich, zu denken.

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