Spiegelgespräche von Rudolf G. Binding

Mein Freund Thomas schenkte mir dieses kleine Büchlein, das 1949 veröffentlicht wurde, zum Geburtstag. Es gibt nicht viele Bücher, die mich so reizen, dass ich sie nicht aus der Hand lege. Dieses ist eines von ihnen. Eine junge Frau sitzt vor ihrem Ankleidespiegel. Ein Mann holt sie dort einmal in der Woche ab. Sie gehen gemeinsam ins Theater, weil der Ehemann der Frau immer sehr beschäftigt ist.

Eines Tages lässt die junge Frau den Spiegel etwas verrücken!

An diesem Tag sieht sie in ihrem Spiegel eine neue Welt, eine nie gesehene Frau. Der Mann, der sie abholt, beginnt mit ihr die Spiegelgespräche zu führen. Was macht ein Spiegel mit den Menschen? Wozu verführt er? Was verdeckt er? Was ist unsichtbar in ihm?

Wie viele Spiegel sehen wir überhaupt? In welche schauen wir hinein? Welche lehnen wir ab?

Hier ein kleiner Ausschnitt, den ich besonders für unsere Zeit aktueller denn je finde.

„Es käme also darauf an, den Spiegel zu überwinden?“, fragte die Frau. „Darauf käme es nicht so sehr an, also das Spiegelbild, das Bild des Menschen, an das er verhaftet ist, zu überwinden. … Des Menschen Bild ist die Fessel, die ihn an seine Gestalt bindet und ihm die Entwicklung einer höheren nicht erlaubt.“ „Wie meinen Sie das?“, fragt die Frau. „Ich meine, dass das Bild des Menschen als Verhaftung ihn hindern wird, Flügel zu bekommen…. Die Menschheit schwächt sich durch jede Hemmung des Spontanen, des Kraftvollen. … Die Energien, die jenen jungen Adler glichen (Hinweis auf das Aufwachsen junger Adler vorher und wie sie fliegen lernen, E.W.), sind vertan. Die großen Leidenschaften sind ausgestorben. Die brennenden Sehnsüchte sind erloschen. Die hohen Gefühle verlacht. Nur aus einer Schwäche – nothaft, in Not – nicht aus seiner Kraft erhebt sich der Mensch noch; und so vermag er sich schließlich um nichts mehr zu erheben als um seinen täglichen Lohn, um Geld und heimlich elenden Nutzen, um Macht und Machtähnliches, um ein paar Guttaten, die nicht seinem Ausstieg gelten, um dieses elende Menschenwerk unserer Zeit, wo wenige Große sind und Große nur wenige. Die Adern des Zorns und des göttlichen Stolzes sind vertrocknet. Kein Mann errötet mehr vor Scham, nicht mehr zu sein als jeder, und die Liebe macht niemanden mehr heiß. Die Säfte des Blutes sind blaß. Die Triebe des Lebens sind hochgebunden, sonst kröchen sie welk am Boden hin und keiner trüge sich selbst. Die Menschen fühlen sich nur noch im Stützwerk von Rechten und Organisationen stark, und wenn es der einzelne ist: auch er tritt vor den Spiegel und den Spiegel – und wenn er nicht aus Glas ist, ist er aus gläsernen Urteilen anderer gebildet …. Denn das Göttliche ist das Spontane des Kraftvollen ohne Festlegung in die augenblickliche Form …. In diesem Augenblick würde der Spiegel sinnlos.“ (97-103, 1949)

Was ist der Spiegel? Der Spiegel ist jedes und jeder. Er ist das Hinausschauen und sehen des Gewohnten. Auf einer philosophischen Veranstaltung mit dem wunderschönen Namen „Denkinsel“ in Kitzingen, gegründet und aufgebaut von Thomas Schneider, sagte ein Teilnehmer: „Die Wahrnehmung des Menschen ist aber doch ganz objektiv. Dieser Fußboden ist doch orange.“

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Thomas Schneider, Denkinsel Kitzingen, Gespräche auf der Parkbank.

Ich war so verwundert, dass in unserer heutigen Zeit, jemand sagt, dass die Wahrnehmung objektiv sei, da die Wissenschaft seit vielen Jahren belegt, dass kein Mensch dasselbe sieht. Es sind Konventionen, Übereinkünfte, die die Menschen trafen, um miteinander reden zu können, Entwicklungen voran treiben zu können und Inhalte bewerten zu können. Aber dies sollte allen Menschen klar sein, dass die Welt, in deren Spiegel wir heute schauen, nicht objektiv ist, sondern eine auf Konventionen beruhende Welt ist, während die Wahrnehmung jedes einzelnen Menschen so individuell ist wie sein Fingerabdruck. Hier sei der wunderbare Aufsatz von Thomas Nagel, Wie es ist eine Fledermaus zu sein?, zu empfehlen.

Wenn wir die Welt also wieder als das einsetzen, was sie ist, nämlich als Spiegel, dann können die Menschen das Spiegelbild erkennen und überwinden lernen. Solange dieser Spiegel als Realität hinhält, übersieht der Mensch sein wirklich großes Potenzial des Seins. Seine intuitive Kraft, seine Spontanität, seine Öffnung von Festlegungen, seine Auflösungskraft von Konventionen, so dass wieder Leidenschaft entstehen kann. Leidenschaft und „göttlicher Zorn“ für ein menschliches würdiges Sein.

Die Welt der Kunst ist so eine Welt. Sie lebt von der Kraft der Intuition, von der Kraft der Spontanität, von der Kraft der Authentizität. Diese Welt auf ein Minimum zu beschränken, so wie jetzt derzeit, bedeutet die Spiegelbilder erstarren zu lassen, die lebendige Lebenskraft welken zu lassen.

Was macht das mit den Menschen? Die Menschen schauen in das Spiegelbild und sehen eine Realität, die sie für wahr halten, aber wenn sie wirklich hinschauen, kann ihnen das geschehen, was der Frau in Bindings Erzählung passierte: „Ich habe mich das erste Mal in meinem Leben selbst besehen.“

Dieser Moment ist die Wendung vom Spiegelbild weg zur wirklichen Realität. Dieser Augenblick ist nicht unbedingt schön. Die Frau beschriebt ihn so: „Mir ist etwas Unerwartetes, vielleicht Schreckliches begegnet.“

Ja, es ist unerwartet. Ja, es ist ein Schreck. Denn in dem Moment, wo das Spiegelbild fällt, das Bild, das wir alle so gut kennen, dann fallen wir ins Bodenlose, jegliche Sicherheit geht verloren, alles wird fragwürdig, nicht ist mehr fest. Einen solchen Moment zu erleben, bedeutet „Mensch werden und menschliches Sein lebendig auferstehen zu lassen“. Die Festlegung der Form fällt. Jetzt ist alles frei. Die Spontanität öffnet ihre Tore. Jetzt ist der Augenblick der weisen Entscheidung. Halte ich die Tür auf und gehe hindurch oder schließe ich sie wieder, weil dieses Bodenlose, diese Unsicherheit – welcher Mensch kann sie denn ertragen?

Die Frau in der Erzählung entschied sich für einen spiegellosen Tag und sie erzählt: „Nach einem ganz spiegellosen Tag habe ich meinem Gatten wieder in die Augen gesehen: als wäre e r mein Spiegel. Ich habe – wie soll ich es ausdrücken – ich habe mir den Mut genommen, w i e d e r zu lieben.“

Ich wünsche uns allen in diesen seltsamen Zeiten, den Spiegel einen Tag beiseite zu legen und den Mut zu haben, wirklich menschlich Mensch zu sein:

  • keine Zahlen mein Leben bestimmen zu lassen,
  • keinen angstmachenden Nachrichten glauben zu schenken,
  • keine Wenn-Geschichten für Wahrheiten zu halten,
  • keine Distanz für Menschlichkeit zu halten,
  • keine Masken als Natürlichkeit zu betrachten?
  • keine Menschen in Würdelosigkeit allein zu lassen
  • keine kranken und alten Menschen einsam zurück zu lassen
  • keine Menschen ihren Lebensinhalt verlieren zu lassen
  • keinen Kindern die Chance der kindlichen Entwicklung in einer gesunden Gesellschaft nehmen zu lassen
  • und und und.

Den Spiegel einen ganzen Tag überwinden, sich der Unsicherheit, dem Erschrecken stellen, nicht weglaufen, sondern wieder Größe, Göttlichkeit, Menschlichkeit auferstehen zu lassen. Wir erlauben uns, den Spiegel zu verrücken. Es geschieht ein Wunder. Lasst es uns doch einfach tun und zuschauen, was geschieht. Neugierig. Mutig. Menschlich. Fehlerhaft. Aufrichtig. Ja, stolz ein fehlerhafter Mensch mit liebevollem Herz zu sein.

Das nennt sich Vertrauen in die Menschlichkeit. Das nennt sich Liebe zum Leben.

Das Spiegelbild ist immer eine Verzehrung, eine Verdrehung, eine Starrheit, aber wir Menschen sind Menschen, weil wir die Fähigkeit haben, Spiegel Spiegel sein zu lassen, uns umdrehen können und die Wirklichkeit sehen können wie sie wirklich ist.

Große Menschen machten und machen es uns vor.

Ein Al Halladsch, ein Jesus, ein Buddha, ein Mohammed, eine Mutter Theresa, eine Jeanne d’Arc, eine Marie Curie, eine Elisabeth Kübler Ross, eine Maria Montessori.

Und mit Maria Montessori: „Hilf mir, es selbst zu tun“. Ja, da kommen wir nicht drum herum. Wir müssen es selbst tun. Und sollten wir Menschen kennen, die den Spiegel fallen gelassen haben, sollten wir diese aufsuchen, denn sie wissen aus Erfahrung, welche Bedeutung dies für das Leben hat. „Hilf mir, es selbst zu tun.“

Auch der Weg der Zazen-Meditations-Praxis. Hier der Hinweis auf mein Zen-Seminar

am Samstag, den 7. November 2020 von 10-16 Uhr, „Die weise Entscheidung“.

Anmeldung und Informationen 09563 54 90 391 oder info@co-philosophie.de

Was für eine Welt wollen wir? Über die große und die kleine Welt.

In der Regel denken wir bei dem Wort „Welt“ an diese große alles umfassende Welt. Die Welt, die unsere Erde bildet und den gesamten Kosmos mit all seinen Sonnensystemen und Planeten. Die Welt als das Universum. Dazu gehört der Mensch, die Tiere, die Pflanzen, die Atome und der Stuhl, auf dem wir sitzen.

Wann sehen wir welches Universum?

Doch machen wir das Wort „Welt“ einmal so klein wie wir es können. Da ist die Welt unserer Familie, die Welt unserer Arbeit, die Welt der Nachbarschaft, die Welt, in der wir einkaufen gehen und leben. Jetzt machen wir die Welt noch kleiner. Die Welt unserer Familie besteht aus Menschen, Dingen und lebendigem Tun. Es werden Verhältnisse geschaffen. Die Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen Mutter und Vater, zwischen Eltern und Kindern. Das heißt, selbst, wenn wir die Welt ganz klein machen, ist sie schon sehr reich an Geschehnissen und sehr reich an den unterschiedlichsten Beziehungen. Wenn wir dies auf die große Welt übertragen, können wir uns vorstellen wie komplex und vielfältig diese Welt ist.

gebrauchtes Buch – Chorlton, Windsor - – Kunstwerk Körper - Reise ins Innere des Menschen -
Dieses Buch kann ich nur empfehlen, um die Ehrfurcht vor der Größe unseres Körpers und Geistes in Anätzen zu erfassen. Ein unglaubliches Buch. Danke.

Doch wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir machen die Welt noch kleiner und offensichtlich geht der Welt, auch wenn wir sie kleiner machen, nichts verloren, sondern im Gegenteil, sie öffnet uns die Augen, wir sehen plötzlich wie reich, vielfältig und komplex sie ist. Durch das Kleiner-machen der Welt begreifen wir die Zusammenhänge in dieser Welt irgendwie eindeutiger. Wir machen die Welt also noch kleiner. Wir nehmen also nur einen einzigen Menschen in dieser Familie heraus. Unser Selbst.

Unser Selbst ist eine Welt. Es ist ein Universum. Wir haben einen Körper, der uns tagtäglich daran erinnert, dass wir essen und trinken, dass wir schlafen und dass wir uns bewegen müssen. Müssen, nicht im Sinne eines Zwanges, sondern der Körper signalisiert es uns. Wir bekommen ein Hungergefühl, verspüren eine Müdigkeit. Manchmal sind diese Gefühle nicht so ganz richtig und wir essen oder trinken etwas, das uns nicht bekommt. Manchmal ignorieren wir das Gefühl der Müdigkeit und arbeiten oder feiern weiter bis in die Morgenstunden. Manchmal nehmen wir sogar eine Pille ein, damit wir es bis zum Schluss aushalten, bis das Projekt abgeschlossen ist oder die Feier beendet ist. Was wir hier im Kleinen an einer Person erkennen, geschieht offensichtlich in der großen Welt auch. Manchmal isst die Welt zu viel der Rohstoffe und bemerkt nicht, dass es ihr nicht guttut. Manchmal schläft die Welt ihre Müdigkeit nicht aus, sondern puscht sich mit elektronischen Welten, die ja jederzeit unbegrenzt alles möglich zu machen scheinen. Auch diese Aufputschpille bekommt der großen Welt nicht gut, weil sie sich um Energiefragen sorgt.

Das heißt, der Rückschritt auf unsere kleine Welt – dieser einzelne Mensch als Welt zeigt uns deutlich wie die große Welt funktioniert. Gehen wir also weiter in dieser kleinen Welt des einzelnen Menschen. Er hat tatsächlich so etwas wie Geist, denn diese kleine Welt kann denken, kann etwas ins Bewusstsein heben. Diese kleine Welt kann auch empfinden. Der Neurophysiologe Antonio Damasio stellt ganz klar fest: „Im Falle der Gefühle sind die Objekte und Ereignisse, die den Vorgang auslösen, innerhalb des Körpers und nicht außerhalb seiner Grenzen.“ (Damasio 2003, S. 110) „Wie faszinierend, dass Gefühle vom Zustand des Lebens in den Tiefen unseres Organismus zeugen!“ (Damasio 2003, S. 165)

Diese kleine Welt, das Sein eines Lebens, ein menschliches Sein, ein menschliches Leben, ein menschlicher Körper und Geist ist also wahrhaftig eine Welt. Sie verfügt über Tiefen, in denen etwas entsteht. Nicht nur Gefühle und Emotionen, sondern eben auch Gedanken.

Damasio: „Sobald wir uns eine Idee von einem bestimmten Objekt machen, [können] [wir, E.W.] eine Idee von der Idee machen und eine Idee von der Idee von der Idee und so fort. All diese Ideenbildung findet auf der Geist-Seite der Substanz statt, die aus heutiger Sicht weitgehend mit dem Gehirn-Geist-Bereich des Organismus gleichgesetzt werden kann.“ (Damasio 2003, S. 250)

Wir wissen aus der Physik, dass unser Körper aus Molekülen und Atomen besteht. Dies macht sich die Biologie und die Medizin/Molekularmedizin zu nutzen. Sie entwickeln z.B. Methoden, diese Moleküle/Atome zu verändern und sie für Behandlungszwecke/Gen-Manipulation/ zu nutzen. (https://www.welt.de/gesundheit/article7175834/Nanopartikel-Maechtige-Waffen-gegen-den-Krebs.html)

Diese kleine Welt als Person als Mensch verfügt somit über alles, was es in der großen Welt auch zu geben scheint. Sie hat riesige Welten in Form von atomaren Welten. Sie hat riesige Mengen an Vorgängen, die in den Tiefen des menschlichen Körper-Geistes zu Empfindungen, Gefühlen und Gedanken führen.

Diese Gedanken bestimmen wiederum die Welt direkt vor mir. Baue ich das Auto so oder lieber so? Kaufe ich dies oder lieber das ein? All diese dann im Außen sichtbaren Entscheidungen der großen Welt entstehen also irgendwie vorher schon in dieser kleinen Welt.

Beide Welten verfügen so über eine fast nicht mehr bemerkbare Verknotung, (im Buddhismus nennt man das- wechselseitige Abhängigkeit) dass wir Menschen immer nur die eine Welt sehen, die so groß und mächtig vor uns steht. Die kleine Welt, die jedoch eigentlich der Auslöser für diese Welt ist, übersehen wir, lernen wir nicht beobachten. Biologen beobachten nur einen kleinen Ausschnitt. Der Mediziner nimmt nur das kranke Organ. Der Virologe nur das kleine Teil, das krank oder gesund macht. (Ja, Viren können auch helfen, Krankheiten zu bekämpfen. https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/phagen-bakterien-forschung-1.4558487?reduced=true)

Der Ökonom zeigt Wirtschaftswege unter finanzieller Verlust-und Gewinnserie auf.  Der Politiker sieht sich als Redner und Entscheider einer Gesellschaft. Keiner betrachtet diese Welt als Ganzes.

Das ist so wahr. Wir halten nicht nur sprichwörtlich die Welt in den Händen, sondern unsere Hände sind die Gestalter dieser Welt. Die Hände sind Körper und Geist – eine kleine Welt, die die große Welt bedeutet.

Die kleine Welt als Mensch und Person kann gar nicht anders. Jeder Mensch sieht seine eigene kleine Welt als sich selbst sofort, wenn ein Teil ausfällt, wenn ein Teil plötzlich nicht mehr funktioniert. Jeder Mensch ist darauf angewiesen, dass sein Körper und sein Geist vollständig in ihrer Funktion sind, sonst leidet der Mensch Schmerzen, erkrankt oder gerät in eine psychische Krise.

Übertragen wir dies auf die große Welt. Wenn die große Welt ihre Funktionen nicht vollständig erkennt, bekommt sie Schmerzen und wird krank. Genau dies scheint jetzt der Fall mehr als deutlich zu sein. Manche Erkrankungen schwären in der kleinen Welt stumm vor sich bis sie explodieren. Ist nicht gerade so etwas in der großen Welt passiert? Legt ein Virus, ein so kleines Wesen, dass die Größe eines Nano-partikels hat, nicht genau den Finger in die Wunden einer zivilisierten Gesellschaft?

Genau dort, wo Menschen wie Tiere zusammenleben, infizieren sich mehr Menschen. Genau dort, wo Tiere in Massen hingerichtet werden, infizieren sich Tiere und Menschen. Genau dort, wo Flüchtlinge zusammenkommen in Notunterkünften oder als Obdachlose auf der Straße infizieren sich viele Menschen. Warum schauen wir nicht auf die Wunde, sondern immer nur auf den Finger? Ist nicht die Wunde, die heil werden muss, um den gesamten Organismus, die ganze Welt gesunden zu lassen?

Die kleine Welt weiß darum. Sie weiß, dass sie gesundet, wenn sie dem Organismus das zukommen lässt, was er braucht. Zum Beispiel gesunden Schlaf, eine geregelte Arbeitszeit, ein Spaziergang in der frischen Luft, ein Besuch bei Freunden oder bei der Familie, ein Essen und Trinken in Maßen. Ein berühmtes Beispiel ist Immanuel Kant, der große deutsche Philosoph. Er wollte unbedingt seine wichtigen Bücher schreiben. Was tat er? Er führte in seinem fortgeschrittenen Alter einen genau strukturierten Tagesablauf ein und es gelang ihm, seine Bücher zu schreiben. In der alltäglichen Frau erzählt die junge Frau mir von dem Abgang des Embryos. Die Mediziner hatten schon den Termin für die Ausschabung. Die junge Frau geht nach Hause, beginnt nachzufühlen, stellt fest: „einen Augenblick mal“. Sie vertraut sich und der Abort gelingt körperlich-geistig ganz von allein. Es ist keine Operation mehr notwendig. Sie sagt: Es braucht doch einfach seine Zeit.

Was tut die große Welt? Sie richtet sich nicht nach den Wunden, sondern sie will die Finger bezwingen, die die Wunden reißen. Doch die kleine Welt als Mensch weiß, dass wir die Finger nicht verhindern können. Das Auto fährt gegen den Baum, warum und weshalb auch immer und plötzlich ist der geliebte Mensch nicht mehr da. Das Virus ist da. Die Krebszelle hat sich im Bauch festgesetzt und vermehrt sich. Der geliebte Mensch oder ich selbst muss über das Sterben und den Tod nachdenken. Die Versicherung bezahlt kein Geld, obwohl die Brandursache klar ist. Der einzelne Mensch weiß, dass er die Finger nicht aufhalten kann. Sie treffen ihn, ob er das will oder nicht.

Aber, er weiß, dass er die Wunden, die daraus entstehen, gesunden lassen kann. Das Leben läuft ohne den Geliebten weiter. Die Versicherung zahlt nach Rechtsstreit. Die kleine Welt tut, was zu tun ist. Sie packt die Wunde an und hadert nicht mit dem Finger. Die große Welt derzeit scheint nur noch auf die Finger zu gucken und vergisst die Wunden total.

Aber die Wunde ist das, was zu Gesunden ist. Die Wunde, die die Vernichtung von Rohstoffen in der Welt bedeutet. Was tun wir, um die Rohstoffe dort zu lassen, wo sie sind? Die Wunde der Massentierhaltung und die Vernichtung von Urwäldern. Was tun wir, um dies zu verändern? Die Wunde der Kriege, an der Waffenindustrien verdienen und Menschen in die Flucht bringen. Was tun wir, um dies zu wandeln? Die Wunde von diktatorischen Ansätzen, die die kleine Welt als einzelne Menschheit unterdrücken und in eine Sichtbarkeit zehren, die auf Daten beruht. Was tun wir für eine demokratische weltbürgerliche Gesellschaft? Die Wunde von Billigarbeitern und modernem Sklaventum in Form von Zeitarbeitsfirmen, wo es doch um Menschen geht, die so sind wie wir?

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Die kleine Welt als Mensch weiß um die Gesundung der eigenen Wunden. Der Körper, wenn wir ihn lassen, übernimmt die Gesundung sogar ganz allein. In der kleinen Welt nennen wir dies Selbstheilungskräfte. (https://www.tcmklinik.de/therapien.html) In der großen Welt nennen wir es Permakultur. (www.perma-kultur-partner.de)

Wenn wir die kleine Welt als Basis jeder Welt nehmen, lernen wir daher nicht nur die kleine Welt von innen und außen, Körper und Geist in all seinem universellen Reichtum begreifen, sondern wir begreifen die große Welt auch.

Daher ist das Üben der Meditation des Zazen/ die Kontemplation so wertvoll. Wir lernen Körper und Geist, wir lernen diese kleine Welt zu beobachten und sie gesunden zu lassen. Wir greifen nicht ein, sondern lassen es geschehen. Wir schaffen in der kleinen Welt keine Gesetze, die ihr die Luft zum Atmen nimmt. Setzten wir in der kleinen Welt eine Maske auf, leider tun dies viele, so könnten wir nicht sehen, was sich in der kleinen Welt tut. Wir würden ihr die Lebensbedingung nehmen, denn sie braucht die Luft zum Atmen. Sie braucht das Sehen, um zu erkennen und zu erfahren. Die kleine Welt als einzelner Mensch als Körper-Geist erschafft keine Gesetze, die ihr verbieten, Körper und Geist zusammen anzugreifen und zu bearbeiten, um zu gesunden.

Körper und Geist in das Gleichmaß bringen. Gesundheit ist Gleichmaß. Im Kleinen wie im Großen. Jedes Ungleichgewicht schadet dem gesunden ganzen Raum.

Eine Reduzierung eines Weltproblems auf eine nationale Größe erschafft keine Lösung für eine Welt-Zivilisation, sondern erhöht die Anzahl der Probleme der Welt über die Dimension. Ein weltliches Problem kann nur gesunden, wenn der ganze Körper und der ganze Geist dieser Welt, egal ob in der kleinen oder in der großen Welt gemeinsam daran schaffen, d.h. Wo ist Frieden? Wo ist Hass und Blind-Sein genau hier in dieser kleinen Welt? Erforsche ich dies, weiß ich wie es in der großen Welt funktioniert.

Vereinzelung, so wie Distanz schafft keine Lösungen, sondern untermauert sie, festigt sie. Wenn jeder einzelne Mensch auf dieser Welt begreift, versteht, erkennt, erfährt, dass seine Gesundung die Gesundung der großen Welt ist, dann braucht es keine Masken, keine Distanz, sondern dann braucht es Angesicht zu Angesicht und Nähe.

Wenn die einzelnen kleinen Welten zu einer Welt geworden sind, wie Körper und Geist gemeinsam in einem Menschen, dann steht eine Welt auf, die von „compassion“ getragen ist. In einer solchen Welt gibt es keinen Ausschluss, weil bereits alles dazu gehört. In einer solchen Welt gibt es das Bemühen ein Gleichgewicht zu halten.

In einer solchen Welt greift nicht die Angst, sondern in einer solchen Welt greift das Mitgefühl, das Für-ein-ander-da-sein. Da ist nicht Nation, sondern Universum. Da ist nicht Ich-allein, sondern Wir-zusammen. Da ist nicht Bestrafung, sondern Freiheit. Da ist nicht Eingesperrt-sein, sondern Freiraum. Für eine solche Welt wie die kleine Welt, die der großen Welt zeigen kann, was Gesund-sein heißt, werbe ich, weil ich diese kleine Welt mit ihrem unendlichen Reichtum so liebe.

Europäische Werte - TeamFreiheit.info - Humanistischer ...
Die Basis die kleine Welt – ein Mensch – sein menschliches Denken. Ich ergänze – das ganze menschliche Sein.

Literaturverzeichnis

Damasio, Antonio R. (2003): Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. München: List.

Brief an Angela Merkel

                                                                                                                                                            28. April 2020

Sehr geehrte Frau Angela Merkel,

Sie sind seit dem 22. November 2005 unsere Bundeskanzlerin. Sie sind eine gebildete Frau, von der ich hoffe, dass Sie dies nicht im Angesicht der vielen Jahre in einem Machtgefüge vergessen haben.

Wie Sie dem Briefkopf entnehmen, bin ich Philosophin, aber dies war ich nicht immer. Ich werde in diesem Jahr 60 Jahre alt. Ich habe als junge Frau von 18 Jahren den Beruf der Kinderkrankenschwester erlernt, arbeitete 12 Jahre in diesem Beruf, vor allem auf einer Frühgeborenen Intensivstation, d.h. ich weiß, wie es in Krankenhäusern zugeht. Über den zweiten Bildungsweg machte ich mit 32 Jahren Abitur und studierte auf Lehramt für die Sek I Mathematik, Ökotrophologie und Pädagogik. In meinem Lehrerberuf wurde ich noch Ausbilderin für Mathematiklehrer am Studienseminar. Auch diesen Beruf übte ich 12 Jahre aus. Eine Erkrankung führte dann zur Frühverrentung. Dennoch gab ich nicht auf. Ich nahm das Studium der Philosophie auf und promovierte 2018 an der Karls-Universität in Prag. Das heißt, Sie haben es hier mit einer Person zu tun, die ebenfalls gebildet ist. Diese Bildung erweiterte ich in den letzten 15 Jahren durch eine zen-buddhistische Praxis, die mich zusätzlich die Weisheit lehrte.

Daher erlaube ich mir die folgenden Worte. Es war einmal ein Land, in dem ein Mädchen groß wurde, das für Demokratie und Meinungsfreiheit stand. Es war einmal ein Land, in dem eine Frau ihren Berufsweg ging mit freier Entscheidungsmöglichkeit. Es war einmal ein Land, in dem eine Frau, die alt wurde auf etwas traf, dass sie in der Schule gelernt hatte und mit dem sie sich viele Jahre in Form von Büchern auseinandersetzte. Ihr Schwiegervater war Stalingradkämpfer gewesen und sieben Jahre in sibirischer Gefangenschaft. Sein Leben verdankte er dem spontanen Einsatz einer jüdischen Ärztin, die ihm Adrenalin in sein stillstehendes Herz spritzte. Durch ihn wusste sie von einem anderen Land.

Jetzt ist ein Land zu sehen, dass dem der Vergangenheit in der jungen Erwachsenenzeit meines Schwiegervater ähnelt. Es wurden Gesetze durch die Legislative gebracht, die es ermöglichen, den Bürgern des Landes etwas von ihrer Freiheit zu nehmen. Sie bekommen Verbote, und bei deren Nichteinhaltung wird die polizeiliche Gewalt benutzt und eine Bestrafung eingeführt.

Den Menschen wird wie eine Art Gehirnwäsche jeden Abend auf allen Kanälen im Fernsehen zur Hauptsendezeit eine Sondersendung zugemutet, die Berichte zeigt, die mit keinem einzigen Wort wissenschaftlich belegt sind. Wo sind die Forschungen der Wissenschaft der letzten 100 Jahre?

Die Soziologie erforschte, was mit Menschen passiert, die in Isolation leben; häusliche Gewalt, Suizid, Scheidungen. Die Pädagogik erforschte, was mit Kindern geschieht, wenn sie keinen Austausch zum Wachsen und Reifen in heterogenen Gruppen haben. Die Philosophie weist in vielfältiger Literatur auf Staatengebilde und deren Aussehen und Wirkungen hin. Die Psychologie erforschte Menschen, die keine Aufgabe mehr haben, die sich verlieren – Viktor Frankl ist da der Name, der hier gerade besonders passt. Dazu gehören Untersuchungen über Suizid-Raten und Hospitalismus. Die Ökologie weist auf die Folgen der Ausbeutung hin. Die Biologie (Maturana und Varella, Der Baum der Erkenntnis) weisen nach, dass nicht das Milieu die Zelle bestimmt, sondern die Zelle nimmt sich, was sie braucht. Wer ist jetzt diese Zelle, die sich nimmt? Wo sind diese wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Menschen jetzt?

Die WHO legt folgende Definition für Gesundheit fest:

„Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“

Derzeit, wo wir alle eine besonders gute Gesundheit brauchen, wo die Angst vor Ansteckung wie ein Feind umherzieht, wird uns das körperliche Wohlergehen genommen (z.B. die Sportvereine und Fitnessstudio-Besucher/Innen), das geistige Wohlergehen (z.B. Theaterbesuch, Kino, Konzerte, Bibliotheken) und das soziale Wohlergehen (z.B. Vereinsbesuche, Nebenjobs als Kellner, Zimmermädchen, Kinderfrau, mit Freunden einen Restaurantbesuch, in Urlaub fahren…).

Was passiert hier? Ist die Antwort in einer digitalen Welt zu finden? Macht sich der Mensch selbst zu einer künstlichen Intelligenz? Geld brauchen wir nicht mehr. Es gibt ja Bitcoins. Notare und Ärzte brauchen wir nicht mehr. Es gibt ja Blockchain und die digitale Antwort auf alle Gesundheitsfragen. Wir brauchen auch kein Kino mehr, weil es gibt ja Stream und einen Anbieter dafür. Wir brauchen keine Konzerthalle mehr, weil es gibt ja Youtube. Ein Zukunftsszenario des Club of Rome für das Jahr 2052 legt folgendes auf der Seite 383 dar: „Erziehen sie ihre Kinder nicht zu Naturliebhabern. […] Wenn sie ihrem Kind beibringen, die Einsamkeit der unberührten Wildnis zu lieben, wird es etwas lieben, das es immer seltener geben wird. [Wenn ihr Kind das nächste Mal am Computer sitzt, sagen sie lieber nichts.]“

Wollen Sie eine derartige Welt? Jetzt scheint eine Entscheidung zu fallen. Hält uns die Angst vor der Fremdheit eines Virus in Griff, der bis jetzt – egal, wo die wirkliche Wissenschaft zu Wort kommt -, als nicht gefährlicher als andere Influenza-Viren eingestuft ist, so rutschen wir in eine Welt, die an die Zeit von 1930 erinnert.

Ich wurde 1960 geboren. Ich erlebte diese Zeit nicht. Jedoch die Arbeit in der Meditation lehrte mich die Schatten und das Licht des Menschen zu sehen. Derzeit finde ich es mehr als bedenklich, was hier gerade in diesem Land geschieht, in dem ich geboren wurde, in dem ich 60 Jahre in Freiheit lebte und in dem ich nun mit Freiheitsberaubung, Ausgehverbot und Versammlungsverbot sitze. Lautsprecher fuhren durch die Straßen und verboten das Hinausgehen. Klingelt es da bei Ihnen nicht? Sind Sie schon so weit von der Basis weg, von deren Existenzen jetzt tausende zu Grunde gehen. Statt Billionen in Sondergelder zu stecken, wäre, wenn es wirklich sinnvoll hätte sein sollen, dies ein Gesetz für die Grundsicherung gewesen. Wichtiger als ein Gesetz für die Ermöglichung von Versammlungsverbot und Ausgehverbot – Gesetze gegen unser Grundgesetz!

Wissen Sie eigentlich wie das ist, wenn Sie am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie Sie ihr Brot bezahlen sollen? Wissen Sie eigentlich wie es ist, wenn Sie am Anfang des Monats nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen oder die Versicherung? Wissen Sie, dass es Frauen gibt, die drei oder vier Jobs haben, um über die Runden zu kommen? Sie nehmen diesen Menschen Ihr Leben. Selbst, wenn Sie alle Menschen finanziell unterstützen könnten – was Sie nicht können – fallen Tausende durch das Raster. Es bleibt die wissenschaftliche Erkenntnis im Raum stehen, dass der Mensch eine Aufgabe braucht.

Sie nehmen den Menschen derzeit nicht nur ihre existenzielle Grundlage, sondern auch die Menschliche. Dies klage ich an!

Ich erwarte von Ihnen als gebildete Frau, dass Sie sich Ihres eigenen Verstandes bedienen und diese grundgesetzverachtenden Gesetze so schnell wie möglich aufheben, dass Sie den Menschen ihre Menschlichkeit zurückgeben. Ein Mensch in Isolation ist manipulierbar und verachtet. Nur Menschen in einer Gemeinschaft haben Siege und Erneuerungen davongetragen. Die Wiedervereinigung vor 30 Jahren zeigt dies mehr als deutlich.

Stellen Sie sich die Fragen:

Wo wollen Sie leben?

Wie wollen Sie leben?

Was wollen Sie sein?

Wollen Sie wirklich den Schaden so vergrößern, dass die totalitäre Macht gewinnt?

Kennen Sie die Verlierer-Seite oder nur die Gewinner-Seite?

Von was lassen Sie sich manipulieren?

In diesem Sinne grüßt Sie eine gebildete und weise Frau, Philosophin und Zen-Lehrerin, die sich auf Ihre Antwort freut.

Mit freundlichen Grüßen

Noam Chomsky und die Frage: Was für eine Welt wollen wir?

Irgendwie stellte ich mir heute Morgen die Frage:

Wovon lenkt eigentlich die öffentliche Berichterstattung zum Thema Virus ab? Wo schauen wir jetzt nicht mehr hin? Wo wird unser Blick hingelenkt und wir folgen bereitwillig, ohne uns zu fragen, was zeigt die andere Richtung? In welche Richtung schauen wir? Welche Richtung übersehen wir?

Zuerst erinnerte ich mich, dass uns gesagt wurde, als es losging, die Maßnahmen dienen dazu, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet werde. Es wurden Beatmungsgeräte angeschafft, Corona-Stationen eröffnet und wir wurden eingesperrt und isoliert in unseren Häusern. Wer eingesperrt ist und in keinen Austausch mehr gehen kann, ist wie jeder weiß, leichter manipulierbar. Wenn dann auch noch die Kunstszene zugemacht wird, dann fehlt jegliche kritische Stimme, die zum Nachdenken anregen kann. Welche Richtung soll hier nicht scheinen?

Zweitens erinnerte ich mich, dass in der angeblich schlimmsten Zeit keinerlei Maske getragen wurde. Sie wurde erst eingeführt als das Schlimmste nach Angaben vorüber war.

Drittens fiel mir auf, dass die Sendungen im Fernsehen um und über das Virus immer nur eine Seite zeigen wollten: Die Gefährlichkeit. Die Bedrohung. Eine geschürte Angst. Sogar Worte wie das „Virus als Feind“ oder die „Ärzte an der Front“ erinnerten an kriegssprachliches Vokabular.

Wo waren wir innerhalb von kurzer Zeit?

Viertens stellte sich mir die Frage: Was war eigentlich vor dem Virus? Wovon sprach die Welt? Erinnern Sie sich? Es war Greta Thunberg und das Klima. Es war Digitalisierung und künstliche Intelligenz.

Was bedeutet das? Wird es eine Zeit nach dem Virus geben? Wie sieht diese Welt aus? Ist es eine menschlichere Welt oder ist es eine fremdbestimmte Gesellschaft, in der wir dann leben?

Sind wir nicht jetzt angekommen, da wo uns alle hinhaben wollten? Digitalisierung überall. Daten ohne Ende. Material für die Gestaltung von Zukunft. Einer Zukunft, die wir als Menschen bestimmen oder einer Zukunft, die von Menschen bestimmt wird, die mit Daten Menschen manipulieren?

Mir fielen beim Nachdenken über diese Fragen, zwei Dinge ein.

Erstens schau doch mal bei der Landesbibliothek vorbei unter dem Stichwort: „Gleichschaltung“.

Zweitens informiere dich einmal im Internet darüber. Ich fange mit dem Internet an. Der überwiegende Teil der Einträge beschäftigt sich mit der „Gleichschaltung“ als ein Wort, dass durch die NS-Zeit geprägt ist und beschreibt, dass ein politisches und soziales System eine Gedanken-und Lebensausrichtung in eine bestimmte Richtung zwingend prägt.

Der online Brockhaus schreibt: „Gleichschaltung, die erzwungene ideologische und organisatorische Ausrichtung aller politisch-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen und Institutionen auf die in einem totalitären Staat herrschende Partei. Die Gleichschaltung ist ein wichtiges Mittel beim Aufbau und der Absicherung des Herrschaftssystems.“ (https://brockhaus.de/ecs/enzy/article/gleichschaltung, Zugriff 04.08.2020, 16 Uhr).

Bleiben wir nun einfach einmal bei dem Wort, ohne auf Geschichtliches oder Ansichten und Bedeutungen zurückzugreifen. Das deutsche Herkunftslexikon DWDS bezeichnet als Synonym das Wort: Nivellierung, Gleichmacherei, Abbau von Unterschieden.

Diese Wörter bitte ich nun im Gedächtnis zu behalten.

Meine zweite Recherche im Katalog der Landesbibliothek brachte mir folgendes: Ich fand folgende Literatur mit dem Titel: Fanatismus von Conzen Peter. Neid und Hass von Brol Nadia. Wir standen nicht abseits, Frauen im Widerstand gegen Hitler von Geyhen Frauke. Der Zeitzeuge. Gottfried Benn von Dyck Joachim. Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen von Noam Chomsky.

Wir standen nicht abseits: Frauen im Widerstand gegen ...

Das heißt, die anders gelenkte Recherche durch die Buch-Welt öffnet ein viel weiteres Feld als das Netz, das seitenlang bei der Zeit zwischen 1930 bis 1945 verweilt.

Die Buch-Welt zeigt Menschen/Autoren, die sich mit dem Thema „Nivellierung, Abbau von Unterschieden“ aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigt haben. Das heißt das Feld „Gleichschaltung“ ist umfassend reicher als das Internet es repräsentiert. Wissenschaft findet einen Raum. Zum Beispiel der Beitrag von Ulfried Geuter über die Psychologie des Nationalsozialismus im Buch von Ash Mitchell mit dem Titel „Geschichte der deutschen Psychologie im 20. Jahrhundert“.

Auch führt mich der Blick in einzelne Inhaltsverzeichnis zu anderen Wörtern. Wörter, die hinter dem Wort „Gleichschaltung“ sich verbergen. Zum Beispiel die Wörter: Hass, Neid, Habgier, kollektiver Hass, Diktatur, Verantwortung. Wieder einmal zeigte mir dieser kleiner Ausflug, wie einseitig, eng und klein eine Internet-Recherche ist, gegenüber der vielseitigeren Recherche in der Buch-und Zeitschriften-Welt.

Mich persönlich elektrisierte der Name Noam Chomsky irgendwie. Also blätterte ich nach und stieß auf dieses Video. https://vimeo.com/404077812

Noam Chomsky, Professor für Linguistik in Amerika, geboren 1928. Ja, unglaublich 92 Jahre alt.

Noam Chomsky

Ein junger Linguistiker fragt ihn zum Virus. Seine Antworten sind mehr als unglaublich. Es sind Antworten auf die Frage: Wovon lenkt eigentlich die Meinungsbildung in Sachen Virus wirklich ab?  Welche Sprache sprechen die Menschen? Was passiert, wenn Grenzen hochgezogen werden? Was geschieht, wenn alle gesundheitlich nivelliert werden?

Er spricht von der weitaus größten Krise, die die Menschheit erlebt, aber nicht wegen des Virus, sondern wegen der Zivilisationskrise, in der wir leben. Kriege. Flüchtlinge. Klimatische Weltveränderungen. Tiefe sozioökonomische Krisen (Energie, Wasser, Rohstoffe). Er spricht von einem Missbrauch der Menschen durch Social Media. Atomatisiert und isoliert werden wir zu steuernden Elementen in einer sich verschlechternden Demokratie.

Er schlägt als Lösung vor, den Zusammenhalt der Menschen zu fördern, die Demokratie lebendig zu halten und sich immer wieder die Frage zu stellen:

Was für eine Welt wollen wir?

Genau diese Frage stellte ich Angelika Merkel in meinem Brief, den ich im 28. April 2020 schrieb und bis heute keine Antwort erhielt.

Den Brief findet ihr im Blog unter „Brief an Angelika Merkel“. Ich teile ihn heute mit euch, um euch damit anzuregen, vielleicht selbst einen solchen Brief an unsere Kanzlerin zu schreiben. Einen Brief von Mensch zu Mensch, von Frau zu Frau, von Mann zu Frau, von Mutter zu Mutter, von Mutter zu Tochter, von Frau zu Mann.

Wir sind die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes, des ganzen Landes. Wir sind Welt-BürgerInnen, mehr als je zuvor. Die Menschen der Kontinente haben sich verbunden durch Wirtschaftlichkeit, durch einen Geldmarkt, durch gegenseitige Abhängigkeiten, wie wohl noch nie zuvor in der Geschichte der Menschen. Wenn wir heute ein Auto kaufen, wissen wir nicht, wo diese ganzen Einzelteile hergestellt werden. Wenn wir heute eine Banane kaufen, wissen wir nicht, wie die Menschen leben, die diese ernten. Wenn wir heute einen Computer kaufen, wissen wir nicht, wieviel Strom er während seiner Lebensdauer verbrauchen wird und wo dieser herkommt. Wir wissen nur, dass die ganze Welt damit zu tun hat. Wir wissen heute, dass es Folgen hat, wenn wir dies oder jenes tun. Folgen, die alle Menschen betreffen, einschließlich unserer Selbst. Daher ist die Frage von Noam Chomsky mehr als berechtigt: Was für eine Welt wollen wir?

Wir sind die Gestalter. Wir sind die Machenden. Wir sind die Tuenden. Wollen wir eine Welt, in der der Mensch menschlich ist und bleibt oder wollen wir eine Welt schaffen, in der Menschen vertechnisiert und atomatisiert sind? Eine Welt, in der der Mensch so sehr verarmt, dass er zu einer künstlichen Intelligenz wird. Er muss sie nicht erschaffen. Er macht sich selbst dazu.

Das kleine Beispiel der Recherche zeigte es deutlich. Eine Internet-Recherche ist eng. Eine Buch-Welt-und Zeitschriften-Welt-Recherche ist groß. Wir können uns groß denken und wir können uns klein denken. Doch für die Folgen müssen nicht nur wir aufkommen, sondern alle Menschen, die nach uns leben ebenfalls. Wollen wir wirklich einen Menschen, der nivelliert ist? Ein Synonym für Nivellierung im DWDS ist Verarmung.

Ich fände es schade, wenn der Mensch sich nivelliert – verarmt, denn er ist ein solches Wunderwerk des Lebens, das so groß und reich ist, dass sein größtes Leben nur eines sein kann, dass immer menschlicher wird als Mensch und nicht als beschränktes in Daten gesammeltes Etwas in Form einer künstlich geschaffenen Intelligenz.

Solange es so etwas gibt, ist der Mensch Mensch. Danke.

Vom Keller bis zum Dachboden. Von der Nähe und der Distanz.

Als ich jetzt meine Wäsche auf dem Dachboden zum Trocknen aufhing, fiel mir ein Gedanke auf, den ich dabei dachte. Vom Keller bis zum Dachboden sollte immer alles aufgeräumt und sauber sein. Wir wissen jedoch, egal, ob wir in einem Haus oder in einer Wohnung wohnen, dass dies fast nicht möglich ist. Im Keller oder auf dem Dachboden landen die Dinge, die wir nicht jeden Tag brauchen. Einige stellen wir nach Jahren fest, brauchen wir nie wieder und entsorgen sie endlich. Dabei stellen wir fest, dass sie verstaubt und verschmutzt sind.

Dachboden, Stall, Gerümpel, Eisen, Metall, Holz, Alt

Als ich jetzt im Zen-Kloster in Frankreich im Ryomon-ji war, musste ich während einer Arbeitsperiode den Keller mitputzen. Es war eine Ecke, die lange nicht gereinigt worden war. Spinngeweben zierten das Fenster. Die dort befindlichen Gegenstände schmückte verkrusteter Staub. Wir hatten ordentlich zu scheuern. Das Wasser musste mehrmals gereinigt werden.

Hatto Ryumon-Ji Dana-Haus
Ryomon-ji

Wir können nicht verhindern, dass sich in unserem Keller und Dachboden und sogar in unseren Wohn- und Lebensräumen Staub und Schmutz ansiedelt. Die Aufgabe, immer wieder neu für Sauberkeit zu sorgen, löst bei mancher Hausfrau und manchem Hausmann ein Stöhnen aus. Es ist eine Sisyphus – Arbeit. Wir fangen an. Wir fangen an. Wir fangen an. Es nimmt kein Ende.

Sisyphos-Darstellung Tizians

Übertragen wir dies auf uns selbst. So ist es hier nicht anders. Unser eigenes Haus, unser Körper, unser Geist und unsere Seele bedarf einer permanenten Reinigung. Auch hier siedelt sich Schmutz und Staub an. Bekannter als Schmerz, als Krankheit, als Gebrechen, als Wunde. Dieser Schmutz verdeckt unsere eigenen Schönheiten, Besonderheiten und individuellen Eigenheiten. Er verhüllt unser eigenes Sein.

Wir wissen jedoch, dass es anstrengend ist, Schmutz abzuscheuern. Daher drücken wir uns gerne davor. Lieber legen wir uns an den Strand oder in die Hängematte und lassen es uns gutgehen. Soll doch der Andere den Schmutz wegmachen. Wenn Menschen von der Autobahn abfahren und ihren Müll aus dem Fenster werfen, steckt dahinter nicht der Gedanke, die Autobahnmeisterei muss ja etwas zu tun haben? Dabei wird völlig übersehen, dass es immer schon genug zu tun gibt.

30 Tonnen Müll sammeln sich an den Autobahnen
In Berlin … Bei typischen Kleinabfällen wie Kippen, Einwegbechern oder Kaugummi beginnt das Verwarnungsgeld … bei 55 Euro.
Die Beseitigung von Abfällen aus dem Auto verursacht jedes Jahr Kosten im sechs- bis siebenstelligen Bereich. (https://www.adac.de/verkehr/recht/bussgeld-punkte/strafen-muell-aus-dem-auto/)

Menschen, die so etwas tun, werfen nicht nur diesen Schmutz nach außen, sondern sie werfen ihren eigensten Schmutz nach außen. Menschen sagen, dass sie sich von Tieren unterscheiden, weil sie denken können, weil sie Bewusstsein haben. Doch, in dem Moment, wo die Autoscheibe per Knopfdruck runtergeht, der Arm sich hebt und das Papier hinausfliegt, was denkt da? Welches Bewusstsein ist das? Ist es das Bewusstsein, dass sich die Frage nach dem Klima stellt? Ist es das menschliche Denken, dass in größere klimatische und menschliche Zusammenhänge denkt? Ist hier nicht Distanz zu anderen Lebewesen spürbar? Der Andere als der Fremde. Das Andere als das Fremde, obwohl wir alle auf derselben Erde leben?

In der Zeit eines Virus ist Distanz zum Alltags-Wort geworden. Ist die Benutzung und das Handeln durch dieses Wort nicht auch verkrusteter Staub und Schmutz in diesen Monaten unseres Lebens geworden?

Ein Staub, ein Schmutz, der die Nähe des Menschen zueinander verdeckt? Ein Staub, ein Schmutz, der das soziale Wesen Mensch verhüllt?

Schmutz von außen reinigen wir. Wie sieht es mit dem Schmutz von innen aus?

Die Vorsilbe „dis“ steht für „entzwei“. Was entzweien wir gerade in dieser Welt von Masken und Distanz? Was vermummen wir wirklich? Was bringen wir in eine Unsichtbarkeit?

Ein Freund erzählte mir vor kurzem, dass seine Frau vom Einkaufen sehr traurig nach Hause kam. Sie hatte folgendes erlebt. An der Kasse im Supermarkt stand eine Frau vor ihr, die im Einkaufswagen einen Säugling in seinem Korb hatte. Die Frau lächelte den Säugling, ca. drei Monate an. Sie haben sich sicherlich auch schon dabei beobachtet, dass sie dies tun. Doch, sie sagte, der Säugling reagierte gar nicht. Normalerweise lächeln die Kinder zurück. Dann erinnerte sie sich, dass sie eine Maske trägt. Das Kind konnte also das Lächeln gar nicht sehen. Sie stellte daheim die Frage an ihrem Mann: Wie lernt ein Kind jetzt, dass die Welt freundlich ist? Dass die Menschen gut sind? Dass der Andere ihnen nichts Böses will?

Züchten wir nicht gerade eine Angst vor dem Nächsten, wo doch jeder religiöse Glaube uns dazu auffordert, den Nächsten zu lieben wie sich selbst? Wenn wir den Nächsten aber nicht mehr sehen können, nicht mehr nah sein können, ihn nicht mehr erfahren können, ihn sogar fürchten als Infizierungsquelle, was ist dann noch Liebe zum Nächsten?

Die berühmte Schriftstellerin Zenta Maurina sagt: „Wenn der Mensch zur Selbstfindung der Einsamkeit bedarf, so braucht er zur Selbstvollendung das Du.“ „Menschliches Dasein vollendet sich im Du-Sein.“ (Auf der Schwelle zweier Welten, 1959, S.24-25, S.30) Das heißt, wir brauchen das Antlitz des Anderen, um uns selbst zu erkennen.  Wir brauchen eine Ruhe wie zum Beispiel die Meditation, um uns selbst zu entdecken, um uns selbst vom Schmutz zu reinigen. Wir brauchen jedoch auch das Du, dass uns wie ein Spiegel noch eine andere Welt von uns zeigt. Verstecken wir uns hinter einer Maske, rücken wir als Mensch vom Mensch weg, so nehmen wir uns die Möglichkeit, eigenen Schmutz zu erkennen und somit ihn zu entfernen. Er häuft sich an. Was entsteht, wenn der Schmutz nicht mehr abgetragen wird? Wo? Sowohl im Innern wie im Außen?

„Bisher wurden für Corona bedingte Zusatzreinigungen durch die Stabsstelle 60 000 Euro aufgewendet. Auch das Grünflächenamt hat noch mehr Aufwand betreiben müssen als sonst.“ (https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-muell-abfall-pizza-kosten-corona-krise-13797819.html, Müll im Park, Frankfurt versinkt im Müll: „Die Corona-Krise hat uns zurückgeworfen“, Christoph Manus)

Distanz führt also zu einer Entzweiung, zu einer Trennung von sich und seinem Tun und der Welt. Doch, der Müll der Welt verschwindet nicht einfach, wie die Forschung der Umwelt belegt.

Wir können einer Distanzierung, einer Entzweiung der Menschen und einer Anhäufung von Schmutz nur entgehen, wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir den Schmutz als unseren Schmutz sehen, wenn wir den anderen Menschen nicht mehr als Ansteckungsgefahr sehen, sondern einfach als ein Mensch, wie wir selbst. Menschen waren und sind erfolgreich im Team. Allein kann kein Mensch überleben.

Als denkendes, fühlendes und soziales Wesen ist der Mensch derjenige, der sich selbst und anderes reinigen kann. Diese Reinigung gelingt nur von innen. Fangen wir an, uns selbst sauber zu halten, hält sich die Welt von selbst sauber. Es ist keine Distanz notwendig, keine Maske, denn gesund und sauber können wir uns nur halten, wenn wir selbst innerlich gesund und sauber sind. Dann haben wir auch keine Angst, vor gar nichts, weil wir wissen, dass wir überall gesund und sauber sind.

China, Buddha-Statuen, Religion, Skulptur, Wasser
Klares Wasser innen und außen. Klares Wasser zum Leben für alle.

Der alte weise Mann im Himalaya sagt: „Alles, was du außerhalb finden kannst, ist seinem Wesen nach wandelbar, unbeständig. …Nein, nichts, was außerhalb deiner selbst liegt, wird dir je die Erfüllung schenken. Die einzige Stabilität, die dir wirklich helfen kann, ist die innere….“ (Tiziano Terzani, Die letzte Runde auf dem Karussell, 685)