Das Wir und das Ich

Seien Sie doch einmal ganz ehrlich, wann und wie lange haben Sie schon einmal wirklich darüber nachgedacht, was das Wir ist? In einem Wir schreibt das deutsche Wortherkunftslexikon DWDS ist immer ein ich selbst eingeschlossen. Das heißt, dieses wir setzt sich zusammen aus anderen einschließlich meiner selbst. Ich gehöre zu einem Wir dazu. Es ist ein „unser-eins“.

Eine Cousine meines ehemaligen Mannes ist große Verfechterin gegen die Schlachttierhaltung und entschied sich Veganerin zu sein. Gestern Abend begegnete ich interessanterweise genau dieser Thematik in einem Buch von J.M. Coetzee. Sie hat eine Romanfigur erfunden, die den Namen Elizabeth Costello hat. Diese ist Romanautorin. Eine alte Dame, die, wie es auf dem Klappentext so wunderbar heißt, „in ihrem intellektuellen Nomadentum als leidenschaftliche Kulturkritikerin zwischen Provokation und Ratlosigkeit“ für eine ganze Menschlichkeit steht. Hört sich fast nach mir an!

Was gehört dazu eine ganze Menschlichkeit zu umfassen? Sind das nicht auch die Tiere, die wir großziehen, um sie aufzuessen? Sind das nicht die Tiere, deren Innereien und vieles mehr verarbeitet wird zu Hundefutter, Seife und Co? Doch, ist das die gesamte Welt eines Wir?

Haben Sie sich schon einmal beim Anblick eines Sandwiches beim Metzger oder Bäcker gefragt: Wieviel Wir steckt in diesem Sandwich? Oder haben Sie sich schon einmal gefragt, wenn sie im Supermarkt einkaufen gehen, wie viel Wir sehe ich hier gerade? Oder wie ist, wenn sie ein Auto kaufen? Sie können jede Situation unseres Lebens nehmen und sich diese kleine einfache Frage stellen: Wie viel Wir ist gerade hier? Denn interessanterweise stecken sie wirklich in diesem „unser-eins“ mittendrin. Denn sie kaufen den Joghurt. Denn sie essen das Sandwich, trinken den Kaffee, bestellen das Auto, benutzen das Handy.

Wenn sie dies immer wieder einmal tun, entdecken sie die Größe eines Wirs, das sie vermutlich irritieren wird, den irgendwie ist es überall da. Doch in unserem alltäglichen Leben werden wir beständig ermahnt nicht das Wir zu sehen, sondern das Ich.

Welches Parfüm ist für sie das Richtige? Welches Auto passt zu ihnen? Welche Farbe sollte die Haustür ihres Eigenheims haben? Welche Pullover-farbe trifft ihren Teint so, dass sie gut aussehen? Welcher Joghurt ist für sie genau der Richtige? Welche Internetseite ist für sie die Passende?

Sie können dieses Hervorheben eines „angeblichen Individuums“ überall sehen, ohne dass sie bemerken, dass gerade dadurch ihre Individualität verloren geht. Denn alle mit blonden Locken erhalten die Empfehlung hellblauen Lidschatten zu verwenden. Denn überall auf der Welt kommt man mit einer Jeans und schickem Jackett gut an.  Denn das neue Smartphone in ihrer Lieblingsfarbe unterstützt ihr individuelles Sein. Bei all dem wird ein Ich gekitzelt.

Dieses ins Blickfeld gehobene individuelle Persönlichkeitsbild geht so weit wie es Harald Welzer in seinem Buch „Die smarte Diktatur“, der Angriff auf unsere Freiheit, gut beschreibt. „Der soziale Raum, der ich nur noch selber bin. … Die Basis für die personalisierten Angebote, die sie bekommen, sind Sie ja selbst – abgelesen und berechnet nach Ihrem Sozialverhalten, Ihrem Informationssuchtverhalten, Ihrem Konsumverhalten. Sie sind die Laborratte, die die Daten liefert, mit deren Hilfe Sie manipuliert werden. Nein, sagen wir besser: gesteuert werden. …Worum es in Wahrheit geht, ist etwas anderes: nämlich die Konstruktion eines anderen sozialen Raumes, in dem Sie so platziert werden, wie es für die am besten ist, die Ihnen etwas verkaufen wollen, ein Produkt oder eine Überzeugung. Oder eine Überzeugung als Produkt.“ (Siehe Impfung, die keine ist, ein Notfallmedikament, das nicht hält, was es versprach – eine Überzeugung als Produkt = ein Produkt als Überzeugung – festgefahren – gefangen –Ausweg?)

Welzer beschreibt wunderbar wie dieses wirklich sichtbare Wir des täglichen Lebens, dieses „unser-eins“ versteckt wird und aus unserem Blickfeld verschwindet. Zum Vorschein kommt etwas, das sie auf keinen Fall sein wollen. Ein Jeder wie jeder andere auch! Be-rechen-bar. Ab-schätz-bar. Kauf-bar. Be-zahl-bar. Indivi-duell.

In Wirklichkeit sind Wir bemerkenswerter Weise genau das aber nicht!

Mir persönlich ist diese be-rechen-bare Welt zu klein. Es fehlt in ihr das, was ich Größe nenne. Eine Größe, die jeden Menschen, jedes Lebewesen auszeichnet. Als sich vor vielen Jahren mein Blick für die Welt als Ganzes hob, für eine „unser-eins“ vollständige Menschheit, für einen ganzen Kosmos, musste ich mich von etwas verabschieden.

Was das war? Ein langer Weg. Ja, und auch schmerzvoller Weg. Eine große Trauer. Ein Abschied in vielen Schritten. Doch, heute freue ich mich darüber, dass ich angstlos und vorwärtsgehend, diesen Abschied vollzog. Von welchem Abschied ich rede? Einige, die mich kennen, vermuten es sicherlich. Ich sage es hier dennoch in aller Deutlichkeit.

Die Arbeit beginnt hier, wo wir gerade stehen. Als Kind lernten wir auf die Frage: Wer bist du oder wie heißt du? zu antworten: Ellen. Jahre später, kam auf diese Fragen: Ich bin Ellen. Schließlich war es geschafft. Wer spricht da? Ich. Selbstverantwortlich. Erwachsen. Ich weiß, wo es lang geht. Wiederum Jahre später, beginnt dieses Erwachsen-Sein zu wackeln. Es ist nicht das Ich, das wirklich Ich ist. So beginnt die Suche. Und wiederum viele Jahre später, wenn das Ich endlich scheinbar aufgetaucht ist, beginnt das Abschied-nehmen. Und wiederum viele Jahre später, wenn du am Ball bleibst, gelingt dir der Abschied für immer und du begegnest zum ersten Mal diesem komischen seltsamen Wir.

Dies ist nicht, wie es gerade immer so schön heißt, solidarisch sein. Es ist kein Für-ein-ander-Eintreten, kein Verbunden-Sein, denn in diesem wirklich echten Wir würde bei einer Verbundenheit eine Trennung vorausgesetzt, die es nötig macht, sich zu verbinden. Bei einem Für-ein-ander-Eintreten ist sogar eine Art Hierarchie durchzuhören. Im juristischen Sinne steht solidarisch denn auch für gemeinsam berechtigt.

Doch in diesem echten Wir gibt es kein Recht und kein Gemeinsam, denn es ist bereits ein Wir als ein Wir, das gleichzeitig und das sei betont, gleichzeitig, in einem Mit-ein-ander, in einem Neben-ein-ander, in einem Über-ein-ander, in einem Unter-ein-ander, in einem Durch-ein-ander existiert. Eben ein „unser-eins“!

Wenn wir uns unsere Welt, unsere direkt Umgebung wirklich einmal genau ansehen, dann stellen wir fest, dass es tatsächlich nichts anderes gibt, als dieses Ein-Ander als ein Unser-eins. Wo wir dies ganz deutlich sehen können, ist bei einem Gang durch die Natur. Der Baum, das Gras, der Bach, die Kuh, der Regenwurm, der Mensch, der Hund, die Katze, das Heu, der Trecker usw. alles ist ein Ein-ander. Nirgendwo ist da eine Trennung, denn es ist in diesem Augenblick, in dem wir gucken, schon ein Gesamtwerk, ein großes Wir. Dieses große Wir ist jeder menschliche Körper. Dieses Wir bilden Organe, Knochen, Muskeln, Gewebe, Geist, Seele, Atome, Moleküle, Würmer, Viren, Bakterien, Pilze und und und… Ein Unser-eins!

Ein großes Wir. Sand. Decke. Buch. Brille. Hände. Schal. und und und

In dem Buch von Merlin Sheldrake, Verwobenes Leben findet sich dies besonders deutlich an der Stelle, wo er schreibt, dass das Pilzgeflecht unter nur einem einzigen Fußabdruck von uns, so groß ist wie ein Fußballplatz mit all dem Leben über, in, durch, mit, unter ihm. Ein Wir.

Mit welch einer Begründung sollten wir daher immer wieder in eine Trennung von etwas gehen? Wir können die Trennung nicht aufrechterhalten, denn unsere Körperlichkeit weist tagtäglich Sekunde um Sekunde auf ein „Unser-eins“ hin.

Mit welcher Begründung sollten wir uns also nicht einmal intensiv ge-pflegt und wirklich Ein-satz-bereit für dieses große Wir einsetzen?

Ein Wir, von dem ein Stephan Mögle-Stadel spricht? Ein Wir, von dem ein Buddha, ein Jesus Christus, ein Al Halladsch, ein Mahatma Ghanda, ein Martin Luther King, ein Humboldt sprechen. Sie alle ver-weise-n auf dasselbe große Wir.

Wenn wir uns das Schaubild der Organisation des Bundeskanzleramtes anschauen, dann stellen wir fest, dass wir seit zwei Jahren nur mit der Gruppe 31, Referat 312 zu tun haben. Kommen bei Ihnen dann keine Fragen hoch? Bei mir schon! Was läuft im wirtschaftlichen Bereich, im Kommunikationsbereich, im Rüstungsgeschehen, in der Außenpolitik, in der Umweltpolitik usw.? Ich könnte hier alles aufführen, denn jedes bleibt als Frage einer nicht gelebten Transparenz im Raum. Fehlt Ihnen nichts? Mir schon.

Als ich 2019 mehrfach einen großen Vortrag über KI hielt, für den ich ein Jahr recherchierte, erinnere ich mich an ein Gespräch der damaligen Bundeskanzlerin Merkel mit der Computergestalt Sophia.  Merkel betont Worte: Wir müssen kämpfen… Ich will keine Datensteuer. …Recht der Roboter auf Stromzufuhr und Wartung?…“

Bis 2030 soll das Bruttoinlandsprodukt mit KI um 11,3%, 430 Milliarden Euro gesteigert werden, notierte ich damals. Wie sieht es heute aus? Wo liegt in diesem Bereich die Gewinnsteigerung, während bayernkreativ aktuell berichtet, dass im Bereich der darstellenden Kunst ein Rückgang von über 80 Prozent zu verzeichnen ist. Das bedeutet, es gibt sie fast nicht mehr. Wovon leben diese Menschen jetzt?

https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Digitalisierung/KI/start.html

Wenn wir uns jetzt derzeit aktuell unsere Welt ansehen, dann können wir sagen, die Wirtschaft und die Politik haben es geschafft, uns digital und Co schmackhaft zu machen. Home-office. Zoom-Konferenzen. Bestellungen per Klick im Internet. Streamen von Filmen, Musik und Co. Virtuelle Hausaufgaben für Schulkinder. Virtueller Unterricht für Schüler und Studenten. Vorträge via Video-Konferenz. Willkommen in der neuen Welt. Und damit niemand mehr in das wirkliche soziale Feld geht, heißt es, halten sie social distancing, impfen sie sich, bleiben sie daheim, gehen und fahren sie möglichst nirgendwohin.

Willkommen. Denn was wächst hier? Hier wächst kein wirkliches Wir, sondern hier wächst ein „unsoziales Wesen“, das nicht einmal mehr ein Ich ist. Eine These-ja, aber wirklich gefühlt. Denn Kinderaugen zeigen es. Denn Bilanzen von Energie (Wasser, Strom) be-zeuge-n es. Denn der Hunger nach Ressourcen be-legt es.

Daher lassen sie uns als ein Wir aufwachen, wach sein für eine Welt, die Wir wirklich wollen? Wollen sie wirklich von einem Roboter im Alter gefüttert werden? Wollen sie wirklich, dass ein Roboter beim Sterben ihre Hand hält? Wollen sie wirklich, dass in Zukunft, virtuelle Lehrer ihre Kinder/Enkelkinder lehren? Wollen sie wirklich für einen Handy-Tipp den langsam entstehenden freien Frieden aufs Spiel setzen? Wollen sie wirklich, dass noch mehr Kinder weltweit verhungern?

Bitte lassen Sie uns als ein Wir, als ein „Unser-eins“ in eine Welt gehen, für die es sich lohnt hier zu sein, lebendig zu sein, wo Menschen sich mit-ein-ander für-ein-ander neben-ein-ander durch-ein-ander in einem „Unser-eins“ in einem freiheitlichem friedlichen WIR treffen können. Ein Raum, in dem jeder Mensch jedem Wesen in die Augen schauen kann, ohne in seinen tiefsten Tiefen daran erinnert zu werden, dass er genau dieses Wesen, diesem Menschen die Lebensgrundlage entzogen hat. Denn das tut ein be-rechen-bares, ein-schätz-bares, be-zahl-bares Ich. Lassen Sie sich nicht über-zeugen, werden Sie nicht Zeuge eines großen Ver-brechen-s/eines Bruchs an und in der Menschlichkeit. Seien Sie Zeuge der großen wertvollen Menschlichkeit, denn Menschlichkeit ist ein-zig-art-ig – eine Art – ein „Unser-eins“.

Ein Grashalm

Ein Baum

Ein Kind

Ein Tier

Ein Mensch

Ein Wurm

Ein Virus

Sehen Sie hin – das wunderbar große WIR! Es zu be-hüten, lohnt sich, denn es ist dieselbe ein-zi-art-ige Leben-digkeit!

6 Antworten auf „Das Wir und das Ich“

  1. Ich bin gerade in der Kur und Kann genau dieses Fassaden-denkende nach aussen – scheinenden Wir, was keins ist super beobachten. Alle meinen für-ein-Ander da zu sein, aber das Verhalten ist nicht passend dazu. Viel oberflächlich, viel materielle Werte, viel gerede…. Aber kein aktives zuhören, das ich steht bei den meisten so in Vordergrund, dass das wir verloren geht ohne es zu bemerken. Traurig stimmt mich das…. Deshalb danke für den tollen Artikel ❤️ Ellen. Liebe Grüße Steffi aus dem Allgäu

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