Als ich jetzt meine Wäsche auf dem Dachboden zum Trocknen aufhing, fiel mir ein Gedanke auf, den ich dabei dachte. Vom Keller bis zum Dachboden sollte immer alles aufgeräumt und sauber sein. Wir wissen jedoch, egal, ob wir in einem Haus oder in einer Wohnung wohnen, dass dies fast nicht möglich ist. Im Keller oder auf dem Dachboden landen die Dinge, die wir nicht jeden Tag brauchen. Einige stellen wir nach Jahren fest, brauchen wir nie wieder und entsorgen sie endlich. Dabei stellen wir fest, dass sie verstaubt und verschmutzt sind.
Als ich jetzt im Zen-Kloster in Frankreich im Ryomon-ji war, musste ich während einer Arbeitsperiode den Keller mitputzen. Es war eine Ecke, die lange nicht gereinigt worden war. Spinngeweben zierten das Fenster. Die dort befindlichen Gegenstände schmückte verkrusteter Staub. Wir hatten ordentlich zu scheuern. Das Wasser musste mehrmals gereinigt werden.
Wir können nicht verhindern, dass sich in unserem Keller und Dachboden und sogar in unseren Wohn- und Lebensräumen Staub und Schmutz ansiedelt. Die Aufgabe, immer wieder neu für Sauberkeit zu sorgen, löst bei mancher Hausfrau und manchem Hausmann ein Stöhnen aus. Es ist eine Sisyphus – Arbeit. Wir fangen an. Wir fangen an. Wir fangen an. Es nimmt kein Ende.
Übertragen wir dies auf uns selbst. So ist es hier nicht anders. Unser eigenes Haus, unser Körper, unser Geist und unsere Seele bedarf einer permanenten Reinigung. Auch hier siedelt sich Schmutz und Staub an. Bekannter als Schmerz, als Krankheit, als Gebrechen, als Wunde. Dieser Schmutz verdeckt unsere eigenen Schönheiten, Besonderheiten und individuellen Eigenheiten. Er verhüllt unser eigenes Sein.
Wir wissen jedoch, dass es anstrengend ist, Schmutz abzuscheuern. Daher drücken wir uns gerne davor. Lieber legen wir uns an den Strand oder in die Hängematte und lassen es uns gutgehen. Soll doch der Andere den Schmutz wegmachen. Wenn Menschen von der Autobahn abfahren und ihren Müll aus dem Fenster werfen, steckt dahinter nicht der Gedanke, die Autobahnmeisterei muss ja etwas zu tun haben? Dabei wird völlig übersehen, dass es immer schon genug zu tun gibt.
Menschen, die so etwas tun, werfen nicht nur diesen Schmutz nach außen, sondern sie werfen ihren eigensten Schmutz nach außen. Menschen sagen, dass sie sich von Tieren unterscheiden, weil sie denken können, weil sie Bewusstsein haben. Doch, in dem Moment, wo die Autoscheibe per Knopfdruck runtergeht, der Arm sich hebt und das Papier hinausfliegt, was denkt da? Welches Bewusstsein ist das? Ist es das Bewusstsein, dass sich die Frage nach dem Klima stellt? Ist es das menschliche Denken, dass in größere klimatische und menschliche Zusammenhänge denkt? Ist hier nicht Distanz zu anderen Lebewesen spürbar? Der Andere als der Fremde. Das Andere als das Fremde, obwohl wir alle auf derselben Erde leben?
In der Zeit eines Virus ist Distanz zum Alltags-Wort geworden. Ist die Benutzung und das Handeln durch dieses Wort nicht auch verkrusteter Staub und Schmutz in diesen Monaten unseres Lebens geworden?
Ein Staub, ein Schmutz, der die Nähe des Menschen zueinander verdeckt? Ein Staub, ein Schmutz, der das soziale Wesen Mensch verhüllt?
Schmutz von außen reinigen wir. Wie sieht es mit dem Schmutz von innen aus?
Die Vorsilbe „dis“ steht für „entzwei“. Was entzweien wir gerade in dieser Welt von Masken und Distanz? Was vermummen wir wirklich? Was bringen wir in eine Unsichtbarkeit?
Ein Freund erzählte mir vor kurzem, dass seine Frau vom Einkaufen sehr traurig nach Hause kam. Sie hatte folgendes erlebt. An der Kasse im Supermarkt stand eine Frau vor ihr, die im Einkaufswagen einen Säugling in seinem Korb hatte. Die Frau lächelte den Säugling, ca. drei Monate an. Sie haben sich sicherlich auch schon dabei beobachtet, dass sie dies tun. Doch, sie sagte, der Säugling reagierte gar nicht. Normalerweise lächeln die Kinder zurück. Dann erinnerte sie sich, dass sie eine Maske trägt. Das Kind konnte also das Lächeln gar nicht sehen. Sie stellte daheim die Frage an ihrem Mann: Wie lernt ein Kind jetzt, dass die Welt freundlich ist? Dass die Menschen gut sind? Dass der Andere ihnen nichts Böses will?
Züchten wir nicht gerade eine Angst vor dem Nächsten, wo doch jeder religiöse Glaube uns dazu auffordert, den Nächsten zu lieben wie sich selbst? Wenn wir den Nächsten aber nicht mehr sehen können, nicht mehr nah sein können, ihn nicht mehr erfahren können, ihn sogar fürchten als Infizierungsquelle, was ist dann noch Liebe zum Nächsten?
Die berühmte Schriftstellerin Zenta Maurina sagt: „Wenn der Mensch zur Selbstfindung der Einsamkeit bedarf, so braucht er zur Selbstvollendung das Du.“ „Menschliches Dasein vollendet sich im Du-Sein.“ (Auf der Schwelle zweier Welten, 1959, S.24-25, S.30) Das heißt, wir brauchen das Antlitz des Anderen, um uns selbst zu erkennen. Wir brauchen eine Ruhe wie zum Beispiel die Meditation, um uns selbst zu entdecken, um uns selbst vom Schmutz zu reinigen. Wir brauchen jedoch auch das Du, dass uns wie ein Spiegel noch eine andere Welt von uns zeigt. Verstecken wir uns hinter einer Maske, rücken wir als Mensch vom Mensch weg, so nehmen wir uns die Möglichkeit, eigenen Schmutz zu erkennen und somit ihn zu entfernen. Er häuft sich an. Was entsteht, wenn der Schmutz nicht mehr abgetragen wird? Wo? Sowohl im Innern wie im Außen?
„Bisher wurden für Corona bedingte Zusatzreinigungen durch die Stabsstelle 60 000 Euro aufgewendet. Auch das Grünflächenamt hat noch mehr Aufwand betreiben müssen als sonst.“ (https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-muell-abfall-pizza-kosten-corona-krise-13797819.html, Müll im Park, Frankfurt versinkt im Müll: „Die Corona-Krise hat uns zurückgeworfen“, Christoph Manus)
Distanz führt also zu einer Entzweiung, zu einer Trennung von sich und seinem Tun und der Welt. Doch, der Müll der Welt verschwindet nicht einfach, wie die Forschung der Umwelt belegt.
Wir können einer Distanzierung, einer Entzweiung der Menschen und einer Anhäufung von Schmutz nur entgehen, wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir den Schmutz als unseren Schmutz sehen, wenn wir den anderen Menschen nicht mehr als Ansteckungsgefahr sehen, sondern einfach als ein Mensch, wie wir selbst. Menschen waren und sind erfolgreich im Team. Allein kann kein Mensch überleben.
Als denkendes, fühlendes und soziales Wesen ist der Mensch derjenige, der sich selbst und anderes reinigen kann. Diese Reinigung gelingt nur von innen. Fangen wir an, uns selbst sauber zu halten, hält sich die Welt von selbst sauber. Es ist keine Distanz notwendig, keine Maske, denn gesund und sauber können wir uns nur halten, wenn wir selbst innerlich gesund und sauber sind. Dann haben wir auch keine Angst, vor gar nichts, weil wir wissen, dass wir überall gesund und sauber sind.
Der alte weise Mann im Himalaya sagt: „Alles, was du außerhalb finden kannst, ist seinem Wesen nach wandelbar, unbeständig. …Nein, nichts, was außerhalb deiner selbst liegt, wird dir je die Erfüllung schenken. Die einzige Stabilität, die dir wirklich helfen kann, ist die innere….“ (Tiziano Terzani, Die letzte Runde auf dem Karussell, 685)