Montag, den 6. April 2020 „Der klare Kopf“

In einem Buch der Zen-Lehrerin Blanche Hartman, Unbegrenzte Lebendigkeit fand ich folgenden Ausschnitt von den „›fünf Täglichen Erinnerungen‹ des Buddhas aus dem Upajjhatthana Sutra […] :

  • Es liegt in meiner Natur, alt zu werden. Es gibt keine Möglichkeit, dem Altwerden zu entgehen.
  • Es liegt in meiner Natur, krank zu werden. Es gibt keine Möglichkeit, dem Krankwerden zu entgehen.
  • Es liegt in meiner Natur, zu sterben. Es gibt keine Möglichkeit, dem Sterben zu entgehen.
  • Alles, was mir teuer ist, alles, was ich habe und alles, was ich liebe, ist seiner Natur nach veränderlich. Es gibt keine Möglichkeit, ihrem Verlust zu entgehen.
  • Meine Handlungen sind mein einziger wahrer Besitz. Ich kann die Auswirkungen meiner Handlungen nicht entgehen. Meine Handlungen sind der Boden, auf dem ich stehe.“

Es war für mich so erfrischend dies zu lesen, denn in Zeiten, in denen die Menschen beginnen sich ängstlich nach einem anderen Menschen umzusehen, weil der könnte einen ja mit dem neuen Virus infizieren, ist es so wunderbar zu lesen, dass nichts es verhindert, wenn ich jetzt an dem Virus sterben soll, dann tue ich das. Wenn ich jetzt leben soll, dann tue ich das.

In diesem ganzen Prozess ist doch eines besonders wichtig; das, was die Menschen seit der Aufklärung doch immer in den Mittelpunkt stellen – den „klaren Kopf“! Was ist ein „klarer Kopf“?

Dies ist sicherlich kein ängstlicher, kein unsicherer, kein misstrauischer Kopf. Ein klarer Kopf ist sicherlich frei von Angst, Misstrauen und Unsicherheit, denn sonst kann er nicht klar sein.

Ein klarer Kopf macht sich auch keine Gedanken, die mit „wenn“ beginnen. Ich nenne dies gerne die „Wenn-Geschichten“. Wenn sie dich packen, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Sie häufen sich im Kopf an, benebeln ihn und die klare Sicht versperrt sich. Wenn-Geschichten sind in die Zukunft gesetzte Möglichkeiten, die über keinerlei Wahrheit verfügen, weil sie nicht existieren. Existenz ist immer nur hier an diesem Ort, an dem sich der Körper und Geist bewegt. Bewegt sich der Geist nur um einen Virus und den damit verbundenen Ängsten, dann ist die eigene Existenz vorbei. Wir leben nicht mehr, sondern lassen uns leben. Doch, der einzige Moment, den wir haben, ist der, der gerade genau hier ist. Diese Zeilen schreiben. Das Unkraut im Garten ziehen. Die Fahrt mit dem Auto zum Einkaufen. Das Gespräch über dem Zaun mit der Nachbarin. Das ist hier sein, weil der Körper und Geist nicht mehr irgendwohin fliegt, sondern die Füße auf festem Boden stehen.

D.h. wenn wir uns mit einer Angst vor einer Erkrankung beschäftigen im Geist, dann existiert sie bereits in uns. Wenn wir keine Angst in unserem Geist zulassen, und was unser Geist tut, das bestimmen, Gott sei Dank“ wir selbst, dann gibt es diese Existenz nicht in uns, auch wenn rundherum die Erde bebt.

Dōgen Zenji, der große Zen-Meister sagt: „Solche Menschen [wissen] nicht, dass [Ursache und Wirkung] einander folgen wie der Schatten einer Gestalt und wie die Schwingung einem Ton, und dass es auch nicht ein Hundertstel oder Tausendstel von Unterscheidung zwischen ihnen gibt. Ferner wissen solche Menschen nicht, das [Ursache und Wirkung] sich niemals erschöpfen, auch nicht in hunderttausend Weltzeitaltern.“

D.h. lassen wir uns von den Ängsten bewegen, bewegen wir das Virus weiter. Lassen wir uns von unserer Freiheit des Geistes mit einem klaren Kopf lenken, kann sich das Virus nicht mehr ausbreiten und erlahmt. Also vertraut eurem „Klaren Kopf“ und vertraut dem Nächsten, denn niemand steckt uns an, wenn wir einen klaren Kopf haben.

Der Nächste ist unser Mitmensch. Er ist derjenige, der uns am nächsten ist. Dies ist kein Virus. Dies ist keine Rolle Klopapier. Dies ist auch kein Stück Hefe. Der mit uns seiende Mensch ist der, der uns Ähnliche, sagt der Portugiese. Und, wem können wir mehr vertrauen, als dem, der uns am Ähnlichsten ist?

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