Eines Tages verletzte sich ein Mann an seinem Bein. Er musste nun mit einer Krücke gehen.
Die Krücke war ihm sehr von Nutzen, sowohl beim Gehen als auch für andere Zwecke. Er brachte seiner ganzen Familie bei, Krücken zu benutzen, und sie wurden Bestandteil des täglichen Lebens. Jedermann wollte eine Krücke haben. Manche waren aus Elfenbein geschnitzt, andere mit Gold verziert.
Man eröffnete Schulen, um die Menschen im Gebrauch der Krücken zu unterweisen, an den Universitäten wurden Lehrstühle eingerichtet, die sich mit den höheren Aspekten dieser Wissenschaft zu befassen hatten. Wenige, sehr wenige Menschen begannen schließlich ohne Krücken zu gehen. Man hielt dies allgemein für skandalös und absurd. Und schließlich gab es ja auch viele Verwendungsmöglichkeiten für Krücken. Aber manche beharrten auf ihrer Ansicht; sie wurden bestraft. Sie versuchten den Menschen zu zeigen, daß man ein Krücke nur dann benutzt, wenn sie nötig ist. Und dass man sich in vielen der Fälle, wo man jetzt eine Krücke benutzte, auf andere Weise besser behelfen könnte. Wenige hörten ihnen zu. Um den Vorurteilen zu begegnen, begannen einige von denen, die ohne Krücken gehen konnten, sich völlig anders zu verhalten als die etablierte Gesellschaft. Sie blieben wenige. Als man herausfand, dass – nachdem so viele Generationen die Krücken benutzt hatten- tatsächlich nur noch ein paar Menschen ohne Krücken gehen konnten, hielt die Mehrheit ihre Notwendigkeit für „bewiesen“. „Hier“, sagten sie, “ hier ist ein Mann. Laß ihn ohne Krücken gehen. Siehst du? Er kann es nicht.“ „Aber wir gehen ohne Krücken“, wendeten die ein, die normal gingen. „Das ist nicht wahr; ihr bildet euch das nur ein“, sagten die Krüppel – denn zu dieser Zeit wurden sie auch blind; blind, weil sie nicht sehen wollten. (Idries Shah, Die Sufis)
Genauso gut könnten wir sagen, dass nur das Stelzen gehen die wahre Natur des Gehens ist.
Und entschuldigt, wenn ich jetzt ein wenig zynisch werde. Je nachdem wieviel Kontakt mit der Erde erwünscht wird, so im Zeichen eines Virus und einer Umweltverschmutzung mit Kunststoff, ist dies vielleicht einmal die Zukunft. Wer weiß? Wir können auch sagen, die nächste Fortbewegungsart heißt autonomes Fahren.
Einer steigt immer nur ein. Kein Fahrer, keine Fahrerin, die sich infizieren könnte und die mich krank machen könnte.
Eine Welt könnte auch so große Krücken schaffen, dass sich die Menschen gar nicht mehr begegnen.
Die Lebensmittel kommen für eine Mahlzeit vollständig ins Haus. Restaurants beliefern uns daheim.
Alle schönen Dinge für die Gestaltung, Handwerken, alles ist schon heute „online“ zu bekommen. Die Schilder der heimatlichen Betriebe „Kaufen Sie in Ihrer Region. Unterstützen Sie Geschäfte vor Ort“ gibt es heute schon. Gerade in dieser Zeit verdienen sie besondere Aufmerksamkeit. Unterhalten können wir uns ja via Skype, Zoom und und und… die Programme werden jetzt schnell entwickelt, verfeinert und auf den Markt gebracht, ein guter Umsatz wird erwartet.
Ist dies eine Welt, die wir wollen, die wir uns wünschen? Benjamin Franklin hat gesagt: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.
Sollten wir nicht vorsichtig sein und immer wieder die berühmte Rückfrage nach der Sinnhaftigkeit stellen? Ist dies nicht die Freiheit der eigenen Gedanken, die als Meinungsfreiheit sich ein Bild nach außen verschafft? Ein Freund, mit dem ich die Tage lange telefonierte (Er arbeitet übrigens auch als Philosoph Thomas Schneider, Begründer der Denkinsel in Kitzingen: https://denkenswerte.de/) gebrauchte ein sehr schönes Wort. Er sagte, dass viele Dinge, auch heute in unserer Situation „Notlösungen“ seien. Ja, das ist das Wort. Dies sollten wir nicht vergessen. Jede Krücke ist ein Notlösung. Notlösungen zu Realitäten werden zu lassen, bedeutet Verzicht auf Freiheit. Verzicht auf Freiheit bedeutet Menschlichkeit in ihrer ganzen Vielfalt einzuschränken. Vielfalt entsteht durch Freiräume. Freiräume schaffen zum Beispiel tolle Bücher wie Herr der Ringe und tolle Verfilmungen wie z.B. Peaceful warrier. Daher stehe ich auf für die Freiheit, die übrigens die Zazen-Praxis in ihrer Einfachheit jederzeit übt. Ich freue mich auf unser weiteres Üben der menschlichen Freiheit.